Wochenkommentar
Ohne Menschen scheitert die digitale Revolution

Der starke Franken verstärkt den Druck: Immer wieder verlagern Unternehmen Stellen aus der Schweiz ins Ausland. Doch sind die digitale Revolution und die aus ihr folgenden ökonomischen Umwälzungen die wahre Gefahr?

Christian Dorer
Christian Dorer
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Ein Schweizer Alstom-Angestellter bei der Arbeit: Einige der einstigen Mitarbeiter mussten sich, nach der Übernahme von General Electric, eine neue Stelle suchen.

Ein Schweizer Alstom-Angestellter bei der Arbeit: Einige der einstigen Mitarbeiter mussten sich, nach der Übernahme von General Electric, eine neue Stelle suchen.

KEYSTONE/URS FLUEELER

Im Wochenrhythmus erreichen uns Meldungen von Firmen, die aus Kostengründen Stellen ins Ausland verlagern. Dies tut nun sogar die Post, obwohl sie ein Staatsbetrieb ist: Unleserliche Briefadressen sollen künftig in Vietnam entziffert werden – macht minus 100 Stellen in der Schweiz. Fast gleichzeitig wurde publik, dass Roche rund 100 Informatikstellen nach Kuala Lumpur, Warschau und Madrid verlagert. Im grossen Stil am Verschieben sind auch die Grossbanken, und selbst die Privatbank Pictet gab kürzlich bekannt, dass sie dies erstmals in ihrer 210-jährigen Geschichte machen wird.

Der starke Franken verschärft den Druck, die Lohnkosten zu senken, und so dürfte die Anzahl Stellenverlagerungen weiter zunehmen. Rein ökonomisch mag das Sinn machen: Eine Firma ist ihren Aktionären verpflichtet, sie muss im guten Fall für Rendite sorgen und im schlechten ums Überleben kämpfen. Wenn einfache Arbeiten in gleicher Qualität, aber zu tieferen Kosten im Ausland erledigt werden können, was spricht dann dagegen?

Die digitale Revolution bietet völlig neue Möglichkeiten. Fast alle Dienstleistungen können von überall auf der Welt her ausgeführt werden. Es ist einerlei, ob dieser Wochenkommentar auf der Redaktion in der Schweiz oder auf den Bahamas geschrieben wird. Es ist einerlei, ob der Dorfpöstler die Adressen entziffert oder ein Vietnamese in Ho-Chi-Minh-Stadt. Es ist einerlei, wo ein Übersetzer sitzt, ein Grafiker, ein Call-Center-Mitarbeiter, ein IT-Berater oder wer auch immer, dessen physische Präsenz nicht erforderlich ist.

Fast allen Unternehmen weht ein härterer Wind entgegen, die geschützten Ecken gibt es kaum noch, seit die Digitalisierung globale Konkurrenz ermöglicht. Wer nicht wettbewerbsfähig ist, verschwindet rasch. Wer nicht wettbewerbsfähig ist und staatlich geschützt wird, verschwindet eines Tages umso schneller. Das war schon immer so, wie die Schweiz verschiedentlich erfahren musste. So waren zum Beispiel die Schweizer Lastwagenbauer Saurer, Berna und FBW jahrzehntelang vor ausländischer Konkurrenz geschützt. Und Telefone mussten von der PTT gemietet werden, deren Produzenten hatten ihre Aufträge auf sicher. Alle Betriebe verschwanden innert Kürze, als sie plötzlich im Wettbewerb standen. Umgekehrt sind jene Branchen fit, die sich schon immer messen mussten – Chemie und Pharma zum Beispiel. Sie sind sich gewohnt, immer die ökonomisch beste Lösung zu finden, und das heisst meistens: anspruchsvolle Jobs in der Schweiz, einfache Jobs in Billiglohnländern.

Die Arbeitslosigkeit sinkt trotz Auslagerungen

Der Schweiz geht es nach wie vor sehr gut, wie die gestern publizierten Arbeitslosenzahlen zeigen: Zum fünften Mal in Folge ist die Quote gesunken und liegt jetzt bei 3,1 Prozent – ein Traumwert im europäischen Vergleich! Neue, hochwertige Arbeitsplätze kompensieren offenbar den Wegfall von einfachen Arbeiten. Doch die neuen Stellen fallen weniger auf, weil sie punktuell entstehen. Auslagerungen erfolgen meist in grösserer Zahl.

Ist also alles im Lot? Ist als nostalgisches Gefühl abzubuchen, wenn man es irritierend findet, dass selbst ein Staatsbetrieb wie die Post frisch-fröhlich Jobs in der Schweiz vernichtet? Nein. Denn es zählen nicht die ökonomischen Argumente allein. Damit eine Gesellschaft funktioniert, ist eine gesunde Wirtschaft zwar wichtig, aber nicht das einzige Kriterium. Die Menschen müssen auch mitmachen bei all diesen Veränderungen. Und dazu müssen sie darauf vertrauen, dass sie in einer Welt, in der alles auf den Kopf gestellt wird, weiterhin ihren Platz haben.

Ängste führen zu neuen wirtschaftlichen Barrieren

Dieses Grundvertrauen ist vielen abhandengekommen, Verunsicherung und Verlustangst dominieren. Ausdruck davon sind etwa das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative in der Schweiz, der Brexit in Grossbritannien, das vermutlich bevorstehende Scheitern des Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA. Ängste führen dazu, dass wirtschaftliche Barrieren hochgezogen werden.

Das ist zu einem grossen Teil von Politik und Wirtschaft selbst verschuldet, oder genauer von einer Elite, die die Menschen nicht mehr abholt. Wer davon ausgeht, dass er zu den Verlierern von morgen gehört, entwickelt Abwehrreflexe. Wenn sich die Schere zwischen Arm und Reich öffnet, wenn sich Manager ungebührlich bereichern, wenn Firmen mir nichts, dir nichts Arbeitsplätze verlagern, dann fördert das Ängste. Ängste aber sind die stärksten Waffen überhaupt.

Die digitale Revolution führt zu ökonomischen Umwälzungen, und solche haben immer auch politische Umwälzungen zur Folge gehabt. Deshalb haben die Populisten quer durch Europa Zulauf. Sie aber sind die wahre Gefahr, auch für die Wirtschaft. Deshalb wäre der Gesamtprofit grösser, wenn Entscheide sensibler gefällt würden und nicht alleine auf Gewinnmaximierung fokussiert wären.