E-Voting
Neustart statt Denkverbot

Doris Kleck, Co-Ressortleiterin Inland bei CH Media, schreibt in ihrer Analyse zur elektronischen Stimmabgabe: «Eine Demokratie muss sich weiterentwickeln.»

Doris Kleck
Doris Kleck
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E-Voting hat derzeit einen schweren Stand.

E-Voting hat derzeit einen schweren Stand.

KEYSTONE/ALESSANDRO DELLA BELLA

Der Takt ist hoch: Die schlechten Nachrichten für die elektronische Stimmabgabe häufen sich. Erst vor Wochenfrist gab der Kanton Genf das abrupte Ende seines E-Voting-Systems bekannt. Verbleibt dasjenige der Post. Und auch um dieses steht es schlecht. Bei den letzten Volksabstimmungen im Mai kam es nicht zum Einsatz – weil Experten gravierende Schwachstellen festgestellt hatten. Zuvor hatte die Post den Quellcode veröffentlicht und Hacker eingeladen, das System zu testen. Das Resultat für die Post war vernichtend. Bundeskanzler Walter Thurnherr konstatierte im Nationalrat: «Die Sicherheitsanforderungen sind nicht erfüllt.»

Ein ernüchterndes Fazit nach einem Testbetrieb, der mittlerweile seit 15 Jahren andauert. Bei 300 Abstimmungen kam die elektronische Stimmabgabe zum Einsatz – soweit bekannt ohne Probleme. Auslandschweizer nutzen die Möglichkeit rege, wenn sie sie denn haben. Dennoch sind Bund und Kantone weit weg von ihrem 2017 verkündeten Ziel. Sie wollten, dass 2019 – also jetzt – zwei Drittel der Kantone E-Voting einsetzen. Nun ist es gar denkbar, dass bei den Wahlen im Herbst keine elektronische Stimmabgabe möglich ist.

Die Euphorie ist also längst verflogen. Dafür grassiert ein breites Misstrauen. Die technische Diskussion um die elektronische Stimmabgabe ist für den Laien, sprich den Stimmbürger nicht verständlich. Zudem werden Risiken von neuen Technologien je länger, je stärker diskutiert. Das Unbehagen gegen das digitale Abstimmen manifestiert sich in einer Volksinitiative: Ein Komitee sammelt derzeit Unterschriften für ein fünfjähriges Moratorium.

Die Schweiz brauchte 60 Jahre, um die briefliche Stimmabgabe einzuführen. Die Bedenken waren gross.

Unter diesen Vorzeichen blieb dem Bundesrat nichts anderes übrig, als einen Neustart zu machen. Das Vorhaben, E-Voting neben dem Gang an die Urne und der brieflichen Stimmabgabe als ordentlichen dritten Stimmkanal zu etablieren, wird vorerst aufgegeben. Politisch hätte dies ohnehin keine Mehrheit gefunden. Der Testbetrieb wird zudem zusammen mit den Kantonen neu aufgegleist. Sicherheit und Transparenz sollen verbessert, die unabhängige Aufsicht gestärkt und die Wissenschaft besser eingebunden werden. Dieser Neustart ist richtig. Denn die Zweifel sind zu gross, in einem Bereich, der keine Zweifel zulässt. Beim Abstimmen geht es um das Urvertrauen in die Demokratie. Der geringste Verdacht, dass die Manipulation einer Abstimmung möglich ist, ist fatal.

Kritiker monieren die grossen Risiken angesichts des geringen Nutzens von E-Voting. Natürlich kann man trefflich darüber streiten, ob für Auslandschweizer die im internationalen Vergleich ohnehin tiefen Hürden zur Stimmabgabe noch tiefer gelegt werden müssen. Ob die Kosten den Nutzen rechtfertigen. Und ob die Stimmbeteiligung steigen würde.

Allerdings muss sich eine Demokratie auch weiterentwickeln. Nicht nur die Jungen, aber vor allem auch sie kommunizieren heute nur noch digital. Ich erinnere mich noch knapp an die Einführung der brieflichen Stimmabgabe 1994. Das war – nicht nur an unserem Familientisch – ein grosses Politikum. Die Schweiz brauchte 60 Jahre, um diesen zweiten ordentlichen Stimmkanal einzuführen. Die Bedenken waren gross. Eine Mehrheit der Stimmbürger findet es heute aber anachronistisch, persönlich an die Urne zu gehen. Der Brief ist längst Trumpf.

Ein Technologieverbot würde schlecht zur Schweiz passen, einem Land, das sich für sehr innovativ hält. Der Bund und die Kantone tun deshalb gut daran, das E-Voting weiter voranzutreiben und die Sicherheitsprobleme zu lösen. Der Bundeskanzler hat am Donnerstag dazu ein paar Stichworte geliefert, wie der Testbetrieb neu zu konzipieren ist. Anschauen muss er aber sicher auch, ob es richtig ist, dass die Post nach dem Ende des Genfer Systems ein Monopol hat. Damit steigt das Klumpenrisiko. Störend ist zudem, dass die Post-Lösung von einer spanischen Firma entwickelt worden ist. Für das Vertrauen in diesem extrem sensiblen Bereich wäre es wichtig, ein Schweizer E-Voting-System zu haben.

Vorderhand ist die Diskussion um die elektronische Stimmabgabe sehr technisch. Sie dreht sich alleine um die Sicherheit. Diese ist zweifellos zentral. Doch es stellen sich eben auch politische Fragen. Wie die Digital Natives an die Urne gebracht werden, wie sich vielleicht auch die politischen Kräfteverhältnisse verschieben. Und wie sich die Demokratie erneuern kann.

doris.kleck@chmedia.ch