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Die Zahlen schrecken auf: 2016 zählten die Spitäler 1575 Kindernotfälle wegen Misshandlung. Die Hälfte der Kinder war keine sechs Jahre, 250 noch keine zwölf Monate alt. Die Sorge ist berechtigt, dass viele Verletzungen nie gemeldet werden – schlicht weil die Kinder nicht zwingend im Spital landen. Es ist daher verständlich, wenn Bundesrätin Simonetta Sommaruga «eingreifen will, bevor etwas Schlimmes passiert», wie sie sagte. Eingreifen, bevor das Kind ins Spital kommt oder gar stirbt.
Trotzdem ist eine Meldepflicht für Kita-Betreuerinnen und Sportlehrer zu hinterfragen. Denn durch das Unterlassen einer Verdachtsmeldung machen sich Personen, die mit Kindern zusammenarbeiten, strafbar. Ist das angemessen? Führt das nicht zu einer Unzahl an (unbegründeten) Meldungen? Reicht ein Verdacht, um in die Intimsphäre einer Familie einzugreifen?
Vor dem Hintergrund, dass die meisten Missbrauchsfälle im erweiterten Familienkreis geschehen, ist die Meldepflicht zumutbar. Zumal nicht jeder Verdacht zu einem Eingreifen der Behörden führt. Personen, die professionell mit Kindern zusammenarbeiten, tragen bereits während der Aufsichtszeit die Verantwortung für ihr Wohlbefinden. Diese Verantwortung wird nun ausgeweitet: Betreuer müssen melden, wenn ein Hinweis auf physische oder seelische Verletzung besteht. Weil viele Kleinkinder wenig Kontakt zur Aussenwelt haben, bleibt die Gewalt, die ihnen zugefügt wird, meist im Dunkeln. Das heisst: Werden die Verdachtsfälle nicht gemeldet, lassen wir die Kinder mit ihrem Schicksal allein. Und das ist sicher nicht zumutbar.