Kommentar zur Türkei
Nach der Neuwahl droht der politische Sturm

Gerd Höhler
Gerd Höhler
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Türkeis Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Türkeis Präsident Recep Tayyip Erdogan.

KEYSTONE/AP Pool Presidential Press Service

Recep Tayyip Erdogan wollte Neuwahlen in Istanbul. Also bekommt er sie. Nach dem Motto: «Wählen bis es passt». Aber ob ihm die Wiederholung der vor fünf Wochen knapp verlorenen Bürgermeisterwahl nützen wird, steht auf einem anderen Blatt. Vielleicht schafft es Erdogans Kandidat Binali Yildirim tatsächlich im zweiten Anlauf. Aber die Türkei steht schon jetzt als Verlierer dieses Tauziehens fest.

Der wieder beginnende Wahlkampf wird das ohnehin tief gespaltene Land weiter aufwühlen, zumal er mit noch härteren Bandagen geführt werden dürfte als alle vorangegangenen Kampagnen. Denn auch wenn Erdogans Name auf keinem Stimmzettel steht und er selbst nicht kandidiert, geht es doch vor allem um ihn. Kann seine Partei die Bosporusmetropole zurückerobern, in der vor 25 Jahren Erdogans politischer Aufstieg begann? Dann würde Erdogan seine Macht erneut zementieren, nicht zuletzt dank der Seilschaften, über die er in der grössten Stadt der Türkei noch verfügt. Behauptet sich hingegen auch im zweiten Durchgang der Oppositionskandidat Ekrem Imamoglu, würde Erdogans Istanbuler Netzwerk über kurz oder lang zerschlagen. Dann könnte der populäre Imamoglu bei der Präsidentenwahl 2023 für Erdogan zu einem gefährlichen Herausforderer werden. Das macht den nun aufs Neue beginnenden Kampf um das Istanbuler Rathaus zu einer Zerreissprobe für die Türkei.

Für die ohnehin schwer angeschlagene Wirtschaft ist die Polarisierung Gift. Überfällige Reformen werden erneut hinausgeschoben, Investoren weiter verunsichert. Die Kursverluste der Lira und die Talfahrt an der Istanbuler Börse am Dienstag sind deutliche Warnsignale. Egal wer letztlich ins Istanbuler Rathaus einzieht: Eine rasche Rückkehr zur Stabilität ist nicht in Sicht. Denn nach der Neuwahl könnte der Sturm erst richtig losbrechen.