Führungskonzept
Mehr Team, weniger Ego

Kolumne zur psychologischen Sicherheit als Führungskonzept in Unternehmen.

Susanne Wille
Susanne Wille
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Psychologische Sicherheit als Teil des Führungskonzepts bedeutet, dass sich in einem Team jeder sicher genug fühlt, das zu sagen, was er denkt.

Psychologische Sicherheit als Teil des Führungskonzepts bedeutet, dass sich in einem Team jeder sicher genug fühlt, das zu sagen, was er denkt.

Hanspeter Bärtschi

«Führung macht einsam», sagen sich Chefinnen und Chefs. «Do not ever bash your CEO». «Greife den Vorgesetzten nie an», sagen sich Angestellte. Solche Sätze kennt jedes Unternehmen, aber solche Sätze sind heutzutage eigentlich Gift. Denn sie stammen aus einer Zeit, in der klare Top-Down-Führungs-Strukturen und Silo-Denken der Normalfall waren. Trotzdem: Solche Sätze sind noch vielerorts der Normalfall. Immerhin: Es tut sich was. Ich schrieb in einer früheren Kolumne über den steigenden Wert der Wir- Intelligenz. Je schneller der Wandel, desto schlauer und flinker müssen Unternehmen werden. Ad-hoc-Gruppen, Projektarbeit, Teamarbeit haben den Arbeitsplatz längst erobert. Ich bekam viele Reaktionen auf den damaligen Text. Ich lese das auch als Zeichen, dass sich immer mehr die Erkenntnis durchsetzt, dass die klassischen Beton-Hierarchien mit dem Tempo, mit dem sich die Welt verändert, nicht mehr mithalten können.

Nun stellen wir aber fest, dass sich die neuen Führungs- und Arbeitskulturen bereits wieder weiter verändern. Der Schweizer Urs Hölzle, Technologiechef beim Internetgiganten Google, erzählte mir in einem Gespräch am Swiss Economic Forum in Interlaken letzte Woche von der grossen Bedeutung, die er der «psychological safety», der psychologischen Sicherheit, beimisst. Diese sei zentral für das gesamte Unternehmen. Hölzle führte aus, wie neue Mitarbeitende entsprechend instruiert würden. In einem Gespräch mit Glücksguru Tal Ben-Shahar fiel am gleichen Tag ebenfalls der Begriff der «psychological safety». Diese sei entscheidend in der digitalen Transformation von Unternehmen.

Psychologische Sicherheit als Teil des Führungskonzepts bedeutet, dass sich in einem Team jeder sicher genug fühlt, das zu sagen, was er denkt. Ohne Angst haben zu müssen, dass die Aussagen – mögen sie auch noch so kritisch sein – Folgen haben könnten für Karriere oder Job. Bohrende Fragen, mutige Konzepte, Kritik an Strukturen, sie sollen vorgebracht und präsentiert werden, ohne Angst, dass man deswegen abgestempelt, belächelt oder schief angeschaut wird. Das Konzept bedeutet aber mehr, als einfach mal die Angestellten zu ermuntern, ehrlich Feedback zu geben. Es ist die Verständigung auf gemeinsame Normen. Ein festes Regelwerk, wie Teams zusammenarbeiten, ein gemeinsames Okay, dass man persönlich etwas riskieren darf.

«Psychological safety»? Wieder so ein Management-Modebegriff, der einfach mal inflationär gebraucht wird, weil Führungsprinzipien und entsprechende Bücher und Coachings dazu auch ein lukratives Geschäft sind? Eine Art moralisches Feigenblatt, mit dem Unternehmen vom Druck, dem die Teams im harten Wettbewerb ausgesetzt sind, ablenken? Ich finde, es steckt mehr dahinter. Es gibt bereits Untersuchungen, die zeigen, dass Teams, die sich so aufstellen, bessere Resultate liefern als andere. Interessanterweise hat Professorin Amy Edmondson das Konzept der psychologischen Sicherheit bereits vor 20 Jahren an der Harvard Business School präsentiert. Aber erst jetzt, mit den Veränderungen in den Führungsstrukturen als Folge der Digitalisierung, kommt es richtig zum Tragen und trifft offenbar den Nerv der Zeit. Kritiker mögen aufschreien und sagen: Wohlfühl-Oase Büro? Kuschelzone Abteilungssitzung? Weichspüler-Debatten bei einem Konzept-Pitch? Nein, möchte ich hier entschieden entgegenhalten: Gesunde Debatten, sich Einlassen auf die Perspektive des Gegenübers, Neugierde und Respekt, all das steht nicht im Widerspruch zu effizientem Handeln, ganz im Gegensatz zu Machtgetrommel und schädlichem Territorienabstecken. Kurz: Mehr Team, weniger Ego.

Schliesslich leben wir doch in der spannendsten Zeit überhaupt. Denn in einer Zeit, wo Kreativität und Experimente entscheidend sind für Erfolg oder Misserfolg, in einer Zeit, in der sich Unternehmen hin zu agilen Strukturen wandeln, in einer Zeit, wo zu starre Hierarchien und das Regieren von wenigen Starken die Innovationen ersticken, bekommt der sichere Rahmen für Teams eine grössere Bedeutung als je zuvor. Und die Chefinnen und die Chefs selber? Nun, mehr denn je führen sie als Vorbilder. Als jene, die Werte einführen und hochhalten. Als jene, die dafür sorgen, dass weniger Energie in Machtkämpfe, dafür mehr Energie ins gemeinsame Ziel fliesst. Wie schon Seneca sagte: «Wir haben nicht zu wenig Zeit, wir verschwenden zu viel davon.»