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Die Disziplin der Italiener beim Maskentragen ist bewundernswert. Warum klappt das nicht auch in der Schweiz?
Machen wir uns nichts vor: Maskentragen ist höchst unangenehm. Echte Schweizer Masken-Widerstandskämpfer haben es in den letzten Wochen immerhin einmal, in jenen 45 Minuten beim Coiffeur-Besuch, gemerkt. Und wer sie täglich anzieht wie alle Italienerinnen und Italiener, fürchtet sich vor nichts mehr als vor kommenden Wochen, an denen das Thermometer auf 40 Grad klettern wird. «Mamma mia», sagt die Stadtführerin in Ravenna, «Wie sollen wir das bloss machen!?» Seit gestern arbeitet sie endlich wieder und fragt sich auch: Verstehen die Leute meine Worte durch die Maske hindurch?
Als ich in einem Mailänder Restaurant am 3. Juni die erste Masken-Tüte meines Lebens sah – eine Tüte, wo man die Maske zwischenlagern kann –, dachte ich: Typisch Italiener, machen auch im Drama «Bella Figura». Doch die Masken-Tüte ist ein völlig normales Utensil, fast jeder und jede hat eine persönliche. Und wer nur einen Tag in einer italienischen Stadt rumspaziert, merkt warum: Maske auf, Maske ab – Maske wohin? In die Tüte naturgemäss. Und zwar in die eigene. Das geht so elegant und leichthändig wie mit der Gucci-Sonnenbrille.
Unsere Schweizer Experten werden bestimmt einwenden, dass dann die Maske sowieso nichts mehr nützt: An- und Ausziehen oder daran Herumfingern kommen nicht in Frage! Gemach: Zuerst hiess es auch, Masken würden gar nichts nützen. Wir liessen uns damals im April auch vorrechnen, wie viele Abermillionen Masken wir Schweizer brauchen würden, gäbe es eine Maskenpflicht. Eigenartig nur, dass sich ganz Italien (aber auch ganz Deutschland) eine Maske aufsetzte. Und es hatte und hat genügend davon.
Italien hat nun sogar so viele Masken, dass jeder, der in einen Schnellzug steigt, einen Kartonsack mit Wasser, Hygiene-Serviette, Handschuhe und eben einer schick verpackten Maske erhält. Beim ersten Konzert am Sonntag des Ravennafestivals erhielt auch jeder eine chirurgische Maske, musste die Privatmaske damit ersetzen. Vorher noch wurde die Temperatur gemessen. Ravenna liegt in der Emilia-Romagna (4,5 Millionen Einwohner), die Zahl der Neuansteckungen lag hier am 21. Juni bei 24 Fällen.
Wer aus dem Hotelzimmer tritt, zieht für die Liftfahrt und den Gang zum Frühstückstisch die Maske an. Am Tisch zieht man sie aus. Das Personal trägt sie so selbstverständlich wie mühelos. In den Schweizern Restaurants sind sie und waren sie hingegen nur sehr selten zu sehen– die Gäste vielerorts leider auch. Wen wundert es: Wer Angst hat, bleibt zu Hause.
Auf der Strasse in Ravenna haben viele ihre Masken freiwillig an, Bedingung sind sie hier im Gegensatz zur Lombardei nicht mehr. Nur, wenn andere Menschen zusammenkommen und der Abstand nicht eingehalten werden kann, muss sie getragen werden. Statt Händeschütteln setzt man beim Zusammenkommen von drei Leuten die Maske auf – die Unterhaltung kann beginnen! Gewiss: Es gibt auch Ausnahmen, kleine «Zwischenfälle»... Aber bei aller Unvorsicht: Das nächste Desinfektionsmittel steht in Italien überall sehr nah. In der Osteria stellt man es oft gleich mit dem Brot auf den Tisch. Es gäbe noch viele weitere Vorsichtsmassnahmen zu nennen, die den Italienern gar nicht mehr auffallen. Auch den Deutschen übrigens nicht. Es war und ist dort weiterhin normal, die Maske zu tragen: In der U-Bahn, im Zug – in jedem Geschäft respektive geschlossenen Raum, im Büro bisweilen gar.
Was ging in der Schweiz schief? Abstand und Zuhausebleiben ging doch auch! Oder könnten wir’s doch? Wer jedenfalls im Zug von Zürich nach Mailand fährt, wird bis Lugano fast keine Maske sehen. Setzt man sich aber in Lugano in den Regionalzug nach Mailand, tragen spätestens in Chiasso alle den Virus-Schutz auf der Nase. Warum? In der Lombardei besteht Maskenpflicht. Mühsam. Aber weiterhin nötig.