Am 14. September findet die vorläufig entscheidende Gerichtsverhandlung im Fall Sika statt. Gegenüber stehen sich Rechtsstaatlichkeit versus Moral.
Die Fakten: Die fünf Geschwister Burkard, Urenkel des Firmengründers von Sika, halten 53 Prozent der Stimmen, aber nur 16 Prozent des Kapitals. Dieses Paket halten die fünf in der familieneigenen Schenker-Winkler-Holding (SWH).
Vor bald zwei Jahren einigten sich die fünf Geschwister, ihr Paket für 2,75 Milliarden an den französischen Konzern Saint-Gobain zu verkaufen, der in der Schweiz schon mehrere Firmen besitzt, die alle unter eigenem Namen auftreten und viel Freiheit geniessen.
Mit dem Verkauf ist der Sika-Verwaltungsrat nicht einverstanden, er hat deshalb die in den Statuten verankerte Vinkulierungsklausel angewendet und das Aktienpaket der SWH von 53 auf 5 Prozent der Stimmen begrenzt.
Damit verhindert er die Übernahme durch Saint-Gobain. Das Gericht muss nun entscheiden, ob diese Begrenzung des Stimmrechts zulässig war oder nicht.
Dass Sika Namenaktien mit grösserer Stimmkraft (als die übrigen Aktien) besitzen darf, ist durchaus rechtens. Stimmrechtsaktien dienen dazu, einen Ankeraktionär zu schützen. Paradebeispiel dafür ist in der Schweiz die Firma Schindler, an der die Familien Schindler und Bonnard ebenfalls via Stimmrechtsaktien die Mehrheit halten.
Damit Stimmrechtsaktien zulässig sind, muss das Unternehmen die sogenannte Opting-out-Klausel in den Statuten aufgenommen haben, die besagt, dass ein Käufer eines grossen Pakets an Stimmrechtsaktien den übrigen Aktionären (der Aktien mit geringerer Stimmkraft) kein Übernahmeangebot machen muss.
Fehlt diese Opting-out-Klausel in den Statuten, ist ein Käufer verpflichtet, allen Aktionären ein Angebot zu unterbreiten, sobald er einen Drittel aller Stimmen erwirbt. Insofern ist es korrekt, dass Saint-Gobain nur die Aktien der Familie erwirbt und den übrigen Aktionären kein Angebot unterbreiten muss.
Der springende Punkt an der Sache ist die zwischen den fünf Geschwistern Burkard und Sika eingepflanzte Schenker-Winkler-Holding, die der Firmengründer schon 1930 zur Absicherung seines Besitzes schuf. Der Sika-Verwaltungsrat argumentiert, der Verkauf sei rechtsmissbräuchlich, weil letztlich mit Ausnahme der fünf Geschwister Burkard nur Verlierer übrig bleiben: die übrigen Aktionäre, die Firma, der Verwaltungsrat, allenfalls Mitarbeiter etc.
Für die grosse Mehrheit der Juristen ist der Fall eindeutig. Rechtlich spricht nichts gegen den Verkauf. Doch es gibt noch das grosse Heer an übrigen Aktionären, die der Familie Burkard unethisches Verhalten vorwerfen. Ihr Argument: Es sei in hohem Masse verwerflich, dass fünf Erben den grossen Reibach machen und alle andern Aktionäre leer ausgingen. Dazu noch der Verkauf an Franzosen! Mon dieu!
Wann immer Juristen Moralisten gegenüberstehen, wird es schwierig. Als Feinde im Geist können sie sich gegenseitig nicht verstehen. Für Juristen ist klar: Es gelten vom Souverän beziehungsweise dem Parlament festgelegte Spielregeln (in Form von Verfassung, Gesetzen und Verordnungen).
Diese gelten und sind auch ethisch rechtens. Zudem sei Saint-Gobain ein gut geführter, finanzstarker Konzern, der Sika als neuer Ankeraktionär Stabilität verschaffe. Zudem werde das Management die Firma am losen Zügel führen, solange das Geschäft so gut laufe wie bisher, schliesslich sei Sika erfolgreich. In dem Sinn sei der Verkauf wirtschaftlich sinnvoll. Im Übrigen habe kein anderer Schweizer Konzern ein Angebot unterbreitet, auch Holcim nicht.
Ethisch-moralisch Getriebene dagegen sind der Auffassung, Richter seien genau dazu da, auch ethische Werte gelten zu lassen, und da Ethik über dem Recht stehe, seien ethische Argumente juristischen vorzuziehen. Im Fall Sika sei die Sache eindeutig: Hier gehe es eben nicht mehr um den Schutz der Gründer von einer feindlichen Übernahme, sondern nur noch um den pekuniären Vorteil der Besitzerfamilie.
Dass es dem Verwaltungsrat und den übrigen Aktionären auch nur ums Geld geht, und dass die Familie einem stabilen finanzkräftigen Aktionär gegenüber irgendwelchen Hedgefonds den Vorzug gab, das verschweigt der Verwaltungsrat selbstverständlich. Ethik ist ein heikles Geschäft, vor allem wenn es ums Geld geht.