In seiner Analyse zur Krise beim FC Basel schreibt François Schmid-Bechtel: «Elf Basler müsst ihr sein. Die neue Führung um Präsident Bernhard Burgener und Sportdirektor Marco Streller liess sich von der Vox populi leiten.»
Als Nicht-Basler kann man den FC Basel nur beneiden. Nach dem 1:7 gegen YB liegt der Verdacht zwar nahe, der Satz könnte mit Zynismus oder Sarkasmus gewürzt sein. Ist er aber nicht. Denn selbst ein 1:7, selbst eine Saison ohne Europacup und Meistertitel zwingt diesen Klub nicht in die Knie. Gewiss, der Marktwert einzelner Spieler wird zusammensacken wie ein abgekühltes Soufflé. Die Transfererlöse werden einbrechen. Wahrscheinlich wird im Verlauf der Saison weiteres Personal ausgetauscht. Vielleicht wird der FCB sogar irgendwann gezwungen sein, auf die Ausgabenbremse zu drücken, den ganzen Betrieb zu redimensionieren. Trotzdem bleibt der FCB der grösste Schweizer Fussballklub. Warum? Weil die Essenz keine Zahl, sondern ein Gefühl ist.
Der Realität von Gewinnoptimierung, Kick-backs und Beteiligungen zum Trotz: Emotionen sind auch in Zeiten von 200 Millionen teuren Kickern der wichtigste Kraftstoff. Und die Liebe zum eigenen Klub ist in der Schweiz nirgends grösser als in Basel. Das zeigt sich erst recht, wenn der Erfolg auf sich warten lässt wie das Christkind im Hochsommer. Die Anhänger sind enttäuscht, niedergeschlagen, ratlos, desillusioniert und wütend. Aber da ist kein Liebesentzug. Wegen eines 1:7 gegen YB ist der Weg von Bern nach Basel nicht mit weggeschmissenen Saisonkarten gepflastert. Denn der FC Basel ist mehr als ein Klub. Er ist eine Institution. Eine einzigartige gesellschaftliche Klammer.
Im Gegensatz zu anderen Städten mischen sich in Basel Akademiker und Arbeiter. Und zwar bei zwei Anlässen. Der Fasnacht und den FCB-Spielen. Harmonie und sozialer Frieden waren dem Basler Grossbürgertum seit je ein wichtiges Anliegen. Was sich im weitverbreiteten Mäzenatentum in Kultur und Sport zeigt. Und punkto FCB dazu führt, dass der Fussball durch jede Ritze der Gesellschaft dringt, die ganze Stadt erfasst. Kurz: Wenn der FC Basel hustet, ist die Stadt, aber auch die ganze Region krank. Und das Trauma der Kantonsamputation wird einzig über die Liebe zum FCB überwunden. Früher im Joggeli, heute im St. Jakob-Park, spüren sie sich alle, Städter und Baselbieter, vereint, wieder in alter Grösse. Das schafft nicht mal die Fasnacht.
Anders als andere Städte kann Basel auf einen starken Zusammenhalt zählen. Allein die periphere Lage, am Rand der Schweiz, offen Richtung Deutschland und Frankreich, aber abgeschnitten vom Rest der Schweiz durch den Jura – ein Gefühl von Isolation kann entstehen. Was wiederum identitätsstiftend und optimaler Nährboden für eine Wir-gegen-den-Rest-Attitüde ist. Zürcher Banken und Berner Politiker werden zum Gegner erklärt. Basel macht sich zum Opfer. Trotz funktionierender Industrie, trotz Hochkultur, trotz FCB. Für Aussenstehende irritierend. Aber in Basel stärkt es den Kitt. Das Gefühl, zu kurz zu kommen, umarmt die Stadt und die Region. Natürlich muss alles, was die Stadt und die Region ausmacht, doppelt und dreifach gegen Angriffe von aussen geschützt werden. Dazu gehört natürlich auch der FC Basel.
Auf diesem Grund wächst Lokal-Chauvinismus. Elf Basler müsst ihr sein. Ausserdem: Trainer, Sportchef, Präsident, Geschäftsführer und weiss der Kuckuck wer sollten ebenfalls Baseldytsch reden. So sähen es viele Fans gerne. Die neue Führung um Präsident Bernhard Burgener und Sportdirektor Marco Streller liess sich von der Vox populi leiten.
Die Konzentration auf die eigenen Kräfte ist ein romantischer Ansatz, kommt bei grossen Teilen der Fans zwar gut an, wirkt aber im weltumspannenden Fussballgeschäft wie ein Anachronismus. Kürzlich fragte ich einen Fan: Würdest du gerne die Zeit zwei Jahre zurückdrehen? Mit dem Ur-Zürcher Urs Fischer als Trainer, mit weniger Baslern dafür dem polarisierenden Renato Steffen auf dem Platz, mit der Dominanz in der Liga, mit Europacup-Teilnahme und natürlich der obligaten Meisterfeier auf dem Barfüsserplatz? Nein, sagt der Fan.
Die alte Führung um Bernhard Heusler scherte sich keineswegs um den Lokalkolorit. Sie priorisierte aber den Erfolg. Wohlwissend, dass auch die eigenen Wunderkinder wie Breel Embolo, Xherdan Shaqiri oder Granit Xhaka die eigene Karriere über die Identifikation mit dem Klub stellen und nach maximal zwei Jahren weiterziehen. Die Frage: Wie lange noch stellt Präsident Burgener die Popularität über den Erfolg?