Cappuccino
Ich habe einen Traum

Thomas Wehrli
Thomas Wehrli
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Ich beschäftige mich derzeit in einer Weiterbildung mit der Seins-Frage und damit, weshalb der Mensch besser werden soll(te). «Jesses», schiesst es nun wohl dem einen oder anderen im «Schweiz am Sonntag»-Land durch den Kopf, während er vorsichtig an seinem Cappuccino nippt, um den Kopf ja nicht zu stark zu bewegen. «Jesses», denkt er, unterlässt aber tunlichst ein Kopfschütteln, «weshalb kommt der olle Typ da mit seinem süffisanten Lächeln ausgerechnet heute – HEUTE – mit diesem Thema?»

Die Antwort ist doppelt banal. Erstens, weil die meisten ihr Sein just heute besonders deutlich spüren: am Dröhnen im Kopf. Zweitens, weil heute ein neues Jahr beginnt – alles Gute von meiner Seite! – und dieser Neuanfang, auch wenn es kein eigentlicher ist, doch zu einem Aufbruch von innen heraus führen kann. Ich sage: sollte.

«Ha», wird sich nun der eine oder andere denken, «Ha, der Schreiberling weiss nicht mehr, was er vor einem Jahr hier geschrieben hat.» Dass er nämlich von Neujahrsvorsätzen nichts hält, da sie in der Realität der Aktualität sogleich wieder verpuffen, dass ihr Sein meist zum Schein verurteilt ist.

Doch, ich erinnere mich. Und ich habe meine Meinung auch nicht geändert. Es ist vielmehr ein Traum, ein Wunsch, den ich habe – für mich, für Sie, für alle: Dass der Mensch als vernunftbegabtes Seiendes, was er zumindest in der Theorie ja ist, im 2017 etwas besser wird, etwas vernünftiger agiert.

Was aktuell auf der Welt läuft, beunruhigt mich zutiefst. Wenn ich um mich blicke, sehe ich eine Welt, in der Egoisten, Hassprediger, Fanatiker und Idioten zusehends an Boden gewinnen. Sie mögen nun einwenden: «Daran kann ich als Einzelner nichts ändern!» Doch. Denn wenn jeder bei sich anfängt, ist jener sprichwörtliche erste Schritt getan, der einen zweiten nach sich zieht, der zu einer Welle des Besseren führen kann.

Klar: Es wäre mehr als naiv, zu glauben, dass alle Menschen diesen Schritt tun wollen. Jeder hat die Freiheit, ihn zu tun oder bleiben zu lassen. Es wird deshalb auch in Zukunft bessere und schlechtere Menschen geben. Leonardo Sciascia teilt die Menschheit in seinem Roman «Der Tag der Eule» in fünf Kategorien ein: Menschen, Halbmenschen, Menschlein, Arschlöcher und Blablablas. Möchten Sie ein «Arschloch» sein? Ich nicht.