Eine Analyse von az-Redakteur Christoph Bopp zur handelspolitischen Kehrtwende, die sich mit der Trump-Ära andeutet.
Freihandel war für Ökonomen wie die Existenz Gottes für Theologen. Gegenteil schlicht undenkbar. Protektionismus ist des Teufels. Vor Jahren, als Big Data noch etwas Komisches war wie Bigfoot, rühmte ein liberaler Ökonom eine Datenbank, die als Frühwarnsystem für Protektionismus dienen sollte. Entsprechende politische Massnahmen, die irgendwo auf der Welt eingeleitet würden, sollten wie Vorbeben registriert werden.
Auf den ersten Blick ist das Dogma der Ökonomen einsichtig. Handel macht reich. Das war die Überzeugung von Adam Smith. Und das zeigt die Geschichte. Nationen, die Handel treiben, sind reich geworden. Auf jeden Fall die am einen Ende der Austauschkette. Über die am andern Ende machte man sich weniger Gedanken.
Als die Leute sich der zunehmenden Arbeitsteilung bewusst wurden, gewann das Argument noch an Plausibilität: Jeder soll doch das machen, was er am besten kann, dann haben alle einen Nutzen. David Ricardo (1772–1823) hantierte mit englischem Tuch und portugiesischem Wein – im Gedankenexperiment. Was herauskam beim Rechnen, nannte er «komparativen Kostenvorteil». Die Portugiesen sollten Wein machen und die Engländer Tuch, nach gegenseitigem Austausch stünden beide besser da. Die Rechnung war etwas umständlich, aber glasklar. Die Voraussetzungen hinter dem Arrangement (Vollbeschäftigung unter anderem) allerdings waren weniger durchsichtig. Aber das störte niemanden. Das Dogma war jetzt wasserdicht.
Dass es die Starken waren, die auf Freihandel pochten, trug dazu bei. Die Briten schickten im 19. Jahrhundert Kanonenboote und Opium, um widerstrebende Märkte zu öffnen. In Zeiten der Pax Americana agierte der Supercop subtiler und liess ökonomische Institute mit dem «Washington Consensus» drohen. Und als Präsident Obama den Europäern ein Abkommen anbot, stilisierten Merkel und Co. das zur «Chance, die wir nicht verpassen dürfen» hoch. Jetzt allerdings war der Hintergrund etwas anders. Globalisiert war man ja schon. Und so winkte das Gespenst der Standortkonkurrenz aus der Kulisse. Das Freihandels-Dogma lag mit dem neoliberalen Dogma, dass der Erfolg einer Volkswirtschaft sich an seiner Konkurrenzfähigkeit auf den internationalen Märkten misst, auf einer Linie.
Jetzt hat Trump den Schalter gedreht. Seine erste Motivation dürfte gewesen sein, dass der verhasste Obama nicht nur die Krankenversicherung, sondern auch den Freihandel propagiert hatte. Nur: Was soll denn schlecht sein am Umstand, dass Zoll- und andere Handelshemmnisse fallen? Und der Traum, dass der Staat für das geschützte Gärtchen schaut, wo man ineffizient und zu teuer produzieren darf, ist nicht gerade republikanisches Repertoire.
Bisher galten die Billigjobs, welche in den alten Industrieländern Arbeitsplätze reihenweise wegkonkurriert hatten, als bittere Pille des Kapitalismus, die es zu schlucken galt. Konkurrenz ist schliesslich gut, der Markt sorgt ja dafür, dass das Kapital dort investiert wird, wo es am effizientesten wirken kann. Man musste sich halt zu helfen wissen. Lohnzurückhaltungspolitik, Währungstricks oder der Mythos von der unschlagbaren Qualität waren beliebte Mittel.
Man hat gesagt, Trumps Wende gegen den Freihandel sei das Ende der neoliberalen Ära. Das dürfte eher nicht der Fall sein. Freihandel ist nicht matchentscheidend. Trump hat zugestanden, dass jetzt seine Leute am anderen Ende der Kette stehen, und den Vorteil genutzt, um politisch opportunistisch gegen die Billigkonkurrenz zu wettern. Trump mag Ford zwingen, von einer Investition in Mexiko abzusehen.
Aber seine Wähler dürften am Schluss dessen nicht unbedingt froh sein. Denn Sozialstandards und Arbeitsbedingungen in seinem wieder «grossen Amerika» neu zu definieren, das wird er wohl nicht machen. Und schon gar nicht, die freie Bewegung des Finanzkapitals behindern. Im 19. Jahrhundert gab es alternative Vorstellungen von «wirtschaftlicher Entwicklung». Ausgewogen sollte sie sein. Damals ging es um das Verhältnis von Agrar- zu Industriewirtschaft. Heute stehen wahrscheinlich Verteilungsfragen und damit verbunden Nachfragesicherung oben. Und viele Dogmen, die noch zu kippen wären.