Steht die Welt den Frauen offen? Dieser Frage widmet sich Julia Onken (* 1942) in ihrem Gastkommentar. Onken ist Buchautorin mit einer ganzen Reihe von Werken und Gründerin des Frauenseminars Bodensee in Romanshorn.
Danke, mir geht es gut. Mein Mann, mein Kind, mein Haus und mein Auto.» So denken vor allem junge Frauen. Ein Internationaler Frauentag sei also völlig überflüssig, eine alte Kiste, Gleichberechtigung sei ohnehin selbstverständlich. Forderungen nach Selbstbestimmung gehörten zur Welt von gestern. Die Frauenbewegung habe ausgedient.
Mir geht es eigentlich auch gut. Ich könnte einfach im Liegestuhl Bücher lesen, gelegentlich auch eines selbst schreiben, herumreisen und Vorträge über die Emanzipation der Frau halten und mich darüber freuen, dass sich die Verhältnisse – dank der Frauenbewegung – grundlegend verändert haben. Schliesslich können nun Frauen jeden Beruf, den sie wollen, erlernen oder jede Studienrichtung wählen. Sie können sich sogar politisch einbringen und mitmischen und, wenn es sie gelüstet, auch Karriere machen. Sogar den Zeitpunkt einer Schwangerschaft kann die Frau selbst bestimmen.
Die Welt steht also den Frauen offen. Doch halt, das stimmt nicht ganz. In dem Moment, wo in ihrer Gebärmutter die Zellteilung beginnt, ist es jäh vorbei mit der Wahlfreiheit, zu tun und zu lassen, wonach einen gelüstet. Nun muss sich frau gut überlegen, wie Familienarbeit und Job unter einen Hut zu bringen sind. In der Schweiz ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine hoch komplizierte Gratwanderung und nur mit einer ausgeklügelten Organisation für die Betreuung des Kindes zu bewältigen.
Wem es nicht gelingt, ein einwandfrei funktionierendes Betreuungs-Netz auf die Beine zu stellen, bestehend aus Familienmitgliedern, kombiniert mit Krippe und Tagesmutter, der bleibt auf der Strecke bzw. am Herd. Das ist wohl noch die letzte Bastion, die es zu besiegen gilt, damit Frauen nicht nur jeden Beruf erlernen können, sondern ihn auch nach der Geburt eines Kindes auch auszuüben in der Lage sind. Aber ich bin guten Mutes und ich gehe davon aus, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist.
Im Schrebergarten meiner persönlichen Belange könnte ich also durchaus zufrieden sein und mich über Erreichtes freuen. Wenn ich aber über den Gartenzaun hinausblicke, gerät die Zufriedenheit in arge Schieflage. Denn da ist gar nichts in Ordnung. Durch die Einwanderung patriarchaler Kulturen gibt es immer mehr Frauen in unserem Land, für die Gleichberechtigung ein Fremdwort ist. Der Vater, Bruder, Ehemann bestimmt über sie. Sie hat sich dem männlichen Oberhaupt unterzuordnen, sie hat ihm zu gehorchen, eigene Wünsche und Anliegen müssen von ihm genehmigt werden.
Wenn er nicht will, dass sie einen Deutschkurs besucht, bleibt der Zugang zu bedeutenden Informationen verschlossen. Sie bleibt eingeschlossen in einem von Männern konstruiertem Denksystem und wird nie erfahren, welche Rechte sie einfordern kann. Unter dem Deckmantel von Toleranz wird stillschweigend geduldet, was zum Himmel schreit.
Die Politik hat versagt, vor allem auch weibliche Politikerinnen haben ihre Geschlechtsgenossinnen jämmerlich im Stich gelassen. Wie kann es sein, dass wir uns nur für die Rechte der weiblichen Bevölkerung in der Schweiz einsetzen? Es wird über Lohngleichheit gestritten, und das ist gut so. Aber das Unrecht, das Frauen anderer Nationen vor unseren Augen erleiden, wird ausgeblendet.
Anfang des 20. Jahrhunderts herrschten auch bei uns derartige Verhältnisse. Unsere Mütter und Grossmütter wissen, wie es damals war, einem Mann unterstellt zu sein und ihm ausgeliefert zu sein. Die Unterdrückung der Frau hat Geschichte. Annette von Droste Hülshoff (1797–1848) schildert in dem berühmten Gedicht «Am Turme» die Not, aufgrund ihrer geschlechtlichen Zugehörigkeit nicht vollumfänglich am Leben partizipieren zu können. Da sie nicht verheiratet war, lebte sie unter dem Patronat ihres Schwagers im Schloss Meersburg. Sie beschreibt, wie sie auf den See hinausblickt, das Spiel der Wellen und gegen den Wind kämpfende Schiffe beobachtet und sich darüber beklagt, nicht selbst das Steuerruder führen zu können:
Wär’ ich ein Mann doch mindestens nur,
So würde der Himmel mir raten;
Nun muss ich sitzen so fein und klar,
Gleich einem artigen Kinde,
Und darf nur heimlich lösen mein Haar,
Und lassen es flattern im Winde!
Der Internationale Frauentag erinnert daran, dass Frauenrechte Menschenrechte sind.
Er wird dann überflüssig, wenn für alle Frauen, gleich welcher Nationalität, die Welt offen steht und sie frei über ihr Leben verfügen können.