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Meinung
Kommentare AZ/BT
In ihrer letzten Ausgabe hat die «Schweiz am Wochenende» über einen Priester berichtet, der sich in eine Sakristanin verliebt hat. Die katholische Kirche habe ihm darauf vorgeschlagen, in einem Pfarrhaus zu leben und seine Partnerin als Haushaltsangestellte zu deklarieren. In einem Kommentar in derselben Ausgabe hiess es zum Zölibat, dies sei eine Sache des Herzens – «erstickt von traditioneller Strenge».
Die Fokussierung auf den Zölibat macht diesen zu einer fixen Idee oder gar zu einem Feindbild, wodurch das Geschehen auf das Format einer unterhaltsamen Story reduziert wird. Das aber wird der Vielschichtigkeit des Sachverhalts und den involvierten Personen nicht gerecht. Mir, der ich die geschilderten Geschehnisse teils aus nächster Nähe mitbekommen und mitverantwortet habe, drängt sich eher der Vergleich mit einer griechischen Tragödie auf. Da geht es gerade nicht um Schuldzuweisung und Moral, sondern um die unauflösliche Verquickung der göttlich-transzendenten Sphäre mit den Unwägbarkeiten unserer irdisch-menschlichen Existenz, mithin um den schicksalhaften Lauf des Lebens. Da gibt es keine aussenstehenden Zuschauer, sondern nur Mitbeteiligte, Mitbetroffene, Miterschütterte, Mitgerettete – eben eine Schicksalsgemeinschaft.
Aufgrund meiner persönlichen Erfahrung verstehe ich die Berufung zum klösterlichen Leben als grossartiges Angebot eines eigenständigen Weges, der im besten Fall zur menschlichen und christlichen Reife führt. Wie ein Mensch dazu kommt, eine so weitreichende, das ganze Leben in Pflicht nehmende Entscheidung zu treffen, beschreibt und regelt der heilige Benedikt im 58. Kapitel seiner Klosterregel («Die Ordnung bei der Aufnahme von Brüdern»). Am wichtigsten ist ihm die Freiheit der Entscheidung. Sie setzt ein hohes Mass an Selbsterkenntnis voraus. Die Gemeinschaft, die den angehenden Mönch aufnimmt, muss ihrerseits prüfen, ob der Kandidat «wahrhaft Gott sucht».
In Freiheit Gott suchen und der Liebe zu Christus nichts vorziehen, darauf zielt die Ordnung des klösterlichen Lebens. Ehelosigkeit und Enthaltsamkeit sind selbstverständliche, integrale Bestandteile dieser Lebensform, die im Übrigen genauso risikobehaftet ist wie jeder andere verbindliche Lebensentwurf. Die für die lateinische Klerikerkirche typische, seit etwa 800 Jahren geltende Verpflichtung zum Zölibat ist der monastischen Tradition fremd, sie kommt in der Klosterregel Benedikts (6. Jahrhundert) gar nicht vor. Für den Benediktinermönch ist die Bereitschaft entscheidend, sich definitiv an eine konkrete Bruderschaft zu binden. Dazu gehören u. a. das gemeinsame Gebet, die gemeinsamen Mahlzeiten, die tägliche Bibellesung, Gütergemeinschaft und Verzicht auf Eigenbesitz und Eigensinn, gegenseitige Hilfsbereitschaft und Verantwortlichkeit, die Sorge für die Kranken und für die Gäste. Benedikt rechnet übrigens mit der Möglichkeit, dass ein Mönch, aus welchen Gründen auch immer, das Kloster wieder verlässt; bis dreimal soll er wieder aufgenommen werden, falls er darum bittet; erst dann ist endgültig Schluss.
Das Leben, auch das Leben eines Mönchs, bleibt eine offene Geschichte. Wer das bedenkt, wird die eingangs erwähnten Geschehnisse vermutlich in einem anderen Lichte sehen. Das ist auch der Grund, weshalb ich das Urteil, mit dem Herr Bopp seinen Kommentar beschliesst, als vorschnell und verletzend empfinde.