Kolumne
Eine Albumkritik

Reeto von Gunten
Reeto von Gunten
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Jay-Z

Jay-Z

KEYSTONE

Er brauchte ein Jahr, zwei Monate und sieben Tage, um seiner Frau zu antworten – da darf man wohl erwarten, dass er seine Worte so wirklich richtig besonders sorgfältig und sehr, sehr gut ausgesucht hat (im Gegensatz zu mir gerade.) Wer in 623 520 Minuten keine anständige Antwort hinbekommt, den kann man eigentlich getrost verlassen. Sie hat es noch nicht getan.

Am 30. Juni 2017 erschien das 13. Studioalbum von einem der grössten Rapper der Gegenwart als Replik auf das Album, das seine Frau am 23. April 2016 veröffentlicht hatte. Die Rede ist, Sie ahnen es, von 4:44 und Lemonade respektive Jay:Z (ja, er schreibt sich jetzt mit Doppelpunkt statt Bindestrich, als Reverenz an den Albumtitel, der Schläuling) und Beyoncé. Nur damit ich Sie nicht im Ungewissen lasse: Ich habe nicht einen einzigen Song von diesem Antwort-Album gehört, keinen Ton, ich habe nicht einmal einen Teaser gehört, nichts – es ist zum Heulen. Und die ganze Tragödie nur, weil ich mich ein einziges Mal in meinem Leben falsch entschieden habe – doch dazu später.

«It’s not what you’re saying, it’s how you say it»

Alles, was ich beim Schreiben dieser Zeilen über 4:44 weiss, habe ich irgendwo gelesen. Kein Problem für ein Rap-Album, würde man meinen, schliesslich fusst das gesamte Genre auf der Wirkung des Wortes. Und schon gar kein Problem bei einem wie Jay:Z, schliesslich gehört er zu den berühmtesten Musikern der Zeit, und seine Äusserungen werden genauso frenetisch aufgezeichnet wie die eines Kanye West, bloss nimmt man ihn zu Recht ernster. Nichtsdestotrotz, der Text alleine macht noch lange keinen Rap, da brauchts schon eine musikalische Untermalung dazu, und die Art und Weise des Vortrags spielt auch keine zu unterschätzende Rolle. «It’s not what you’re saying, it’s how you say it», sozusagen. Ohne Beat und Flow also kein Rap, und ohne den Rap gehört zu haben, keine Albumkritik. Logisch, eigentlich. Trotzdem, meine Kritik fusst auf den Lyrics zu 4:44, dem Titeltrack des Albums. Er heisst so, weil er zu dieser Uhrzeit aufgewacht sei (das genaue Datum hat er leider nicht abgeschrieben von seinem Wecker) und, von Schuldgefühlen seiner Frau gegenüber getrieben, diesen Song geschrieben habe. Er beginnt mit den Zeilen «(Why) do I find it so hard, when I know in my heart, I’m letting you down every day, why do I keep on running away?» Und da gehts auch schon los mit den Schwierigkeiten: 1. Mit «Running away» meint er «fremdgehen», einfach etwas weniger entlarvend formuliert. Und 2. Diese Zeilen rappt er nicht etwa, er lässt sie von einer Frau singen!

Das soll eine Entschuldigung sein, ein feministisches Statement gar? Bitch, please! Klar, sein «Ich nehme mir, auf wen ich Lust habe»-Gehabe scheint verschwunden, das ist ein Anfang, und seine Mutter gibt sonstwo auf dem Album ihr Coming-out – für Rap-Verhältnisse eine Revolution. Und vielleicht ist der Rest des Albums ja besser, mit Beats und Flow kann man da, wie gesagt, viel rausholen.

Erkennt die Zeichen. Sportsfreunde, wehret den Anfängen!

Aber darum gehts mir eigentlich gar nicht. Was mich wirklich stört, ist die Geschäftsidee, die das Ganze überstrahlt: Das Album kann ausschliesslich über Tidal gehört werden, den Streamingdienst, der Jay:Z gehört. 4:44 ist also weder verspätete Entschuldigung, eine Rap-Revolution noch ein feministisches Statement, es ist ein Stunt. Ein gerissener Trick, der auf nichts anderes abzielt, als uns einen unpopulären Streamingvertrag unterzujubeln. Es geht nicht um Inhalte, sondern um Kohle. Und das ebendort erschienene Lemonade-Album seiner Frau verkommt so zum Vorspiel einer hinterhältigen Geschäftsposse. Und das Schlimmste ist: Die beiden sind nicht die Einzigen, die solcherlei Machenschaften praktizieren, die gesamte R’n’B- und Rap-Kultur wird so gesteuert in Amerika. Skandalös, oder? Das ist ja, als ob man bei uns zum Beispiel das Fussballspiel seiner Wahl nur dann schauen könnte, wenn man den richtigen Televisionsanbietervertrag unterschrieben hat. So weit kommt es noch. Erkennt die Zeichen, Sportsfreunde, wehret den Anfängen!