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Die Bürger einer Aargauer SVP-Hochburg zeigen Herz und bürgern eine Köchin gegen den Willen des Gemeinderats ein. Die direkte Demokratie funktioniert, nicht nur hier. Der Kommentar von CH-Media-Chefredaktor Patrik Müller.
Fernab des Scheinwerferlichts der nationalen Medien hat sich diese Woche in einem Aargauer Dorf etwas zugetragen, das man durchaus als kleine Weihnachtsgeschichte bezeichnen könnte. Sie spielt in Wislikofen, 350 Einwohner, 42 Prozent wählen hier SVP. Ich kenne das Dorf ein bisschen, da ich in einer der sieben Nachbargemeinden aufgewachsen bin. Dass Wislikofen sieben Nachbargemeinden hat, wusste ich nicht, bis ich im «Badener Tagblatt» las, dass eine 40-jährige Frau aus Bangladesch nicht eingebürgert werden sollte, weil sie im Einbürgerungsgespräch die sieben Gemeinden nicht aufzählen konnte. Die Frau heisst Kaniz Fatema Khan, ist Köchin und lebt seit 20 Jahren in der Schweiz, die Hälfte davon in Wislikofen. Weil sie bei der Geografiefrage patzte und in den Ohren des Gemeinderats zuwenig gut Deutsch sprach, war dieser gegen die Einbürgerung.
Doch in Wislikofen haben bei Einbürgerungen nicht die Behörden das letzte Wort, sondern die Bürger. Im Dorf kennt man Frau Khan und ihre beiden Kinder, 15- und 17-jährig, die Familie hat beispielsweise einen Adventsfenster-Apéro organisiert. Der Chef der Köchin sagte in der Zeitung: «Sehr viele Leute im Dorf fragen sich, warum in aller Welt Frau Khan nicht integriert sein soll.» Und so machten sich am Donnerstag so viele Leute auf zur Gemeindeversammlung wie kaum je zuvor. Der Gemeinderat habe seine Kriterien, sagte ein Stimmbürger, «aber wir können mit dem Herzen entscheiden». Frau Khan wurde mit 67:11 Stimmen eingebürgert, die beiden Kinder einstimmig. Danach erhob sich der Saal, es gab Applaus, Freudentränen flossen. Der Gemeindeammann zeigte sich fast erleichtert und gestand ein, schlaflose Nächte gehabt zu haben. Und so wurde aus einer Einbürgerungsposse eine Sternstunde der Demokratie.
Und die Lehre von der Geschichte? Das Volk hat nicht immer recht. Aber es hat ein gutes Gespür, wo es ein Problem gibt und wo nicht. Frau Khan ist kein Problem. Ein Problem ist eine jährliche Einwanderung von 80'000 Menschen – darum haben die Schweizer 2014 die Masseneinwanderungsinitiative angenommen. Kein Problem ist ein kluges Abwägen von Landes- und Völkerrecht – darum wurde die Selbstbestimmungsinitiative abgelehnt. Übrigens auch in Wislikofen.