Der Wochenkommentar von Chefredaktor Christian Dorer über den überraschenden Rücktritt von Staatssekretär Michael Ambühl.
Manchmal ist die Schweiz tiefe Provinz: Da stehen wir mit der Weltmacht USA in existenziellen Verhandlungen - und mitten in der heiklen Phase wird bekannt, dass Chefunterhändler Michael Ambühl den Dienst quittieren wird. Damit ist er natürlich ab sofort eine «lame duck». Gibt es ein anderes Land auf der Welt, das so agiert?
Die Verhandlungen mit den USA stehen laut Finanzdepartement kurz vor dem Abschluss. Denkbar also, dass Ambühls Job de facto erledigt ist. Ambühl hat sich in früheren Fällen als gewiefter Taktiker Respekt verschafft. Was jetzt jedoch ein schiefes Licht auf ihn wirft: Seine neue Stelle als ETH-Professor fiel gestern nicht einfach so vom Himmel. Vielmehr hat Ambühl sich zu einem Zeitpunkt um seine berufliche Zukunft gekümmert, als er seine ganze Kraft in die Gespräche hätte stecken müssen. Denn ein Verhandlungsführer, der vor dem Absprung steht, der sich mental vielleicht schon verabschiedet hat, erzielt kaum die bestmöglichen Resultate - vor allem dann nicht, wenn die Gegenseite davon erfährt.
Ebenso wenig hilfreich dürfte gewesen sein, dass Ambühl und seine Chefin, Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf, es nicht gut miteinander können. Auch das ist der Gegenseite garantiert nicht verborgen geblieben. Widmer-Schlumpfs Abneigung wurde spätestens im November 2012 offensichtlich. Damals deckte «Die Nordwestschweiz» auf, dass sie Ambühl absurderweise nicht in einer Arbeitsgruppe zur Zukunft des Finanzplatzes dabei haben wollte - und ihn erst auf Druck des Gesamtbundesrats nachnominierte.
Ambühl ist bloss ein weiterer Name auf einer langen Liste von Chefbeamten, mit denen Widmer-Schlumpf sich überworfen hat. Die Ursachen mögen vielfältig sein - es fällt auf, dass kein anderer Bundesrat auch nur annährend einen so hohen Verschleiss an Kaderleuten hat.
Wir werden nie erfahren, ob Querelen mit der Chefin zu einem schlechteren Verhandlungsergebnis mit den USA geführt haben. Ebenso wenig wird sich jedoch dieser Verdacht aus der Welt schaffen lassen. Erst recht nicht, falls die schauerlichen Vertragsdetails stimmen, die häppchenweise an die Öffentlichkeit dringen: Demnach müssen die Schweizer Banken eine Busse im hohen einstelligen Milliardenbereich zahlen und umfangreiche Datenlieferungen tätigen. Das wäre ein Sieg der USA auf der ganzen Linie.
Das Schlamassel angerichtet haben die Banken - das kann man nicht genug betonen. Widmer-Schlumpf muss es politisch ausbaden. Wenn es bisher um sie ging, waren die Fronten klar: Die SVP kritisierte sie aus Prinzip, alle anderen verteidigten sie reflexartig. Das Steuerabkommen könnte nun zu einer neuen Art von Diskussion führen - die sich um Widmer-Schlumpfs Leistungen dreht und nicht um Ideologie.