Donald Trump
Ein fürsorglicher Landesvater?

In seiner Analyse schreibt USA-Korrespondent Renzo Ruf über Präsident Trumps Rede zur Lage der Nation.

Renzo Ruf (Washington)
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Donald Trump während seiner «State of the Union»-Rede in Washington. Dutzende Male unterbrach Applaus seine Ansprache.

Donald Trump während seiner «State of the Union»-Rede in Washington. Dutzende Male unterbrach Applaus seine Ansprache.

MICHAEL REYNOLDS/EPA/Keystone

Präsident Donald Trump hat sich am Dienstag mehr oder weniger an die Konventionen des amerikanischen Politbetriebs gehalten – und eine Rede zur Lage der Nation gegeben, in der er eine gesunde Portion Optimismus verbreitete und gleichzeitig, in einem Anflug von Grosszügigkeit, überparteiliche Lösungen für knifflige Probleme vorschlug.

So sprach Trump über Investitionen in die vernachlässigte Infrastruktur, die duale Berufsausbildung und über den Ausbau des sozialen Netzes für junge Familien. Dabei klang er fast wie ein Mitglied der Oppositionspartei, wohl auch, weil diese Passagen der Rede von Gary Cohn geprägt worden waren, dem präsidialen Wirtschaftsberater, lange Jahre ein Gönner der Demokraten.

Cohn war es auch gewesen, der vorige Woche die Werbebotschaft formuliert hatte, mit der Trump am Weltwirtschaftsforum in Davos um Investoren (und gute Presse) buhlte. Andernorts wirkte der Präsident kantiger.

So stellte er zum Beispiel einmal mehr einen direkten Zusammenhang zwischen Immigration und Kriminalität her – als seien die Aktivitäten einer scheusslichen Strassenbande, die sich in der Tat hauptsächlich aus Menschen mit Wurzeln in Lateinamerika zusammensetzt, ein Indiz dafür, dass sämtliche Einwanderer dazu neigten, die ansässige Bevölkerung zu terrorisieren.

In diesen Passagen war die Handschrift von Stephen Miller zu erkennen, seinem innenpolitischen Berater. Der junge Rechtsausleger ist ganz offensichtlich der Meinung, in den USA habe es keinen Platz mehr für Menschen aus fremden Ländern und Kulturen.

Allein: Keine elegante Formulierung, kein Appell an Gemeinsamkeit und Patriotismus kann darüber hinwegtäuschen, dass diese Rede von Donald Trump gehalten wurde – einem Mann, der dafür berüchtigt ist, dass er sich bereits morgen nicht mehr daran erinnert, was er gestern noch als allgemeingültige Wahrheit verkaufte.

Zwischen Staatsmann und Hetzer

Washington aber, der Politbetrieb in Amerikas Hauptstadt, vergisst nicht. Republikaner und Demokraten haben in den vergangenen zwölf Monaten erfahren, dass auf Trump kein Verlass ist. Und dass der Präsident, einem Schauspieler gleich, einmal den Gary-Cohn-Staatsmann geben kann und ein anderes Mal den Stephen-Miller-Hetzer – je nach Publikum und je nach Tagesform. Manchmal gelingt es Trump gar, am gleichen Abend zwischen Staatsmann und Hetzer hin und her zu wechseln.

Für den Präsidenten mag diese Strategie, falls es denn eine ist, aufgehen. Schliesslich hat er sich bereits während seiner Karriere als Geschäftsmann nie an Konventionen gehalten und im Wahlkampf 2016 ganz offensichtlich davon profitiert, dass breite Kreise die Nase voll von ferngesteuerten Berufspolitikern haben. Die Arbeit seiner Regierung aber profitiert von dieser Sprunghaftigkeit nicht.

Ein Beispiel bloss: Die geplanten Milliarden-Investitionen in desolate Strassen, Brücken, Tunnel, Flughäfen, Eisenbahnen und Versorgungsleitungen. Auf dem Papier sind sich Republikaner und Demokraten einig darüber, dass die hohe Politik dieses Problem verschlafen hat – und Millionen von Amerikanern pflichten ihnen bei, weil sie auf dem Weg zur Arbeit in Metropolen wie Baltimore oder Los Angeles im Stau stecken oder durch Schlaglöcher fahren.

Das Geld für Investitionen fehlt

Doch diese Investitionen haben ihren Preis, auch wenn Präsident Trump eine enge Kooperation mit dem Privatsektor vorgeschlagen hat. Bereits heisst es deshalb aus der Präsidentenpartei, der Bundesstaat könne sich Ausgaben von bis zu 1500 Milliarden Dollar nicht leisten – schreibt Washington doch derzeit pro Quartal ein Defizit von 228 Milliarden Dollar.

Die Demokraten wiederum haben wenig Interesse daran, eine Koalition mit einem Präsidenten zu schmieden, der sich ständig auf Twitter über ranghohe Vertreter der Oppositionspartei lustig macht. Schliesslich ist 2018 ein Wahljahr.

Was bleibt? Ein Präsident, der mit sich zufrieden ist und einen Abend lang den Landesvater gab. Bereits heute wird Trump wohl wieder von der Realität eingeholt werden.