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Esther Girsberger über das Image von Wirtschaftsverbänden und erstaunliche Rügen.
Der öffentliche Auftritt von Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl in der letzten «Samstagsrundschau» von Radio SRF war mutig. Nicht etwa, weil sie sich zwei Tage vor dem «Tag der Arbeit» den Interviewfragen stellte. Sondern zum einen, weil er am Schluss einer Woche stattfand, in der der Vergütungsbericht der Georg Fischer AG und der GAM ganz abgelehnt und der der Credit Suisse mit einem mageren Ergebnis angenommen worden war. Zum anderen, weil die Radio- Hörerinnen und -Hörer drei Wochen später an der Urne über das Schicksal der «Energiestrategie 2050» befinden. Einer Vorlage, der strategisch eine ziemliche Bedeutung zukommt, für die der Wirtschaftsdachverband aber keine Parole gefasst hat. Mutig zum Dritten, weil Monika Rühl bei ihrer Amtsübernahme 2014 gesagt hatte, der Verband müsse «volksnaher, bodenständiger und glaubwürdiger» werden. Was sie in besagter halber Stunde im Radio wiederholte.
Volksnah und bodenständig: Diese Prädikate verdient eigentlich nur ein Verband der Wirtschaft, nämlich der Gewerbeverband mit Nationalrat Hans-Ulrich Bigler als Direktor. Seine unzimperliche Art und Weise, in der Öffentlichkeit mit umstrittenen, teils fragwürdigen Methoden (und Kampagnen) aufzutreten, ist ohne Zweifel volksnah und bodenständig. Der Versuch von Economiesuisse, auf seine Weise mitzuhalten, wirkt bemühend, wie man der Homepage entnimmt: «Unternehmerinnen und Unternehmer laden die Bevölkerung der Schweiz auf ein Gespräch ein: beim Wandern, bei einem Bier oder Kaffee. Menschen wie du und ich unterhalten sich über das, was sie bewegt: Altersvorsorge, Arbeitsplätze, Steuern, Globalisierung etc.» Erlebnisbilder dazu sind ernüchternd – auf praktisch allen Fotos sind entweder Verbandsfunktionäre (Vertreter von Handelskammern oder der Föderation der Nahrungsmittel-Industrien) oder dann Economiesuisse-Präsident Heinz Karrer bzw. Direktorin Monika Rühl zu sehen.
Diejenigen, welche wirklich Volksnähe und Bodenständigkeit herstellen müssten, fehlen auf den Fotos, obwohl sie den Vorstand des Verbands massgeblich prägen bzw. den Ton angeben und eigentlich die Hauptschuld am angeschlagenen Image des Verbands tragen: Wandert der ehemalige Schweizer Meister im Hürdenlauf und CS-Verwaltungsratspräsident Urs Rohner mit? Oder der Präsident von Georg Fischer, der Schweizer Andreas Koopmann? Natürlich nicht, sie sind ja eben nicht «Menschen wie du und ich». Sie haben andere Probleme – globale. Dass ihre Unternehmen den Standort in der Schweiz haben und ihr alles andere als volksnahes Gebaren gesellschaftliche Konsequenzen hat, scheint sie nicht zu kümmern.
Dabei haben die vom Volk angenommene Minder- und die Masseneinwanderungs-Initiative oder die Ablehnung der Unternehmenssteuerreform III mit solchem Verhalten zu tun. Doch die Schuldigen werden anderweitig gesucht: Was wäre schliesslich einfacher, als die Exponenten des Wirtschaftsdachverbands zu rüffeln? Dass das aber nicht nur durch Vertreter der linken Parteien oder Gewerkschaften geschieht, sondern ausgerechnet durch diejenigen, die Economiesuisse besonders nahe stehen müssten, ist schwer verständlich: FDP-Parteipräsidentin Petra Gössi beispielsweise, die im «Blick» wörtlich sagte: «Einzelne Verbände haben in der Bevölkerung kein gutes Ansehen mehr. Auch, weil man dort keine starke Führung sieht. Was noch schlimmer ist: Den Verbänden fehlt zum Teil das politische Gespür. Und das ist fatal.»
Ausgerechnet die FDP-Präsidentin, aus deren Partei trotz Ja-Parole zur Energiestrategie 2050 prominente Mitglieder öffentlich und dezidiert ihre «Nein»-Haltung kundtun, ist sich nicht zu schade, undifferenziert dieses gleiche Verhalten im Wirtschaftsdachverband zu geisseln. Unglücklich auch die Worte von FDP-Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann im «Tages-Anzeiger»: «Ich habe in meiner Zeit als Industrieller und Swissmem-Präsident meinen Kollegen in der Economiesuisse beizubringen versucht, dass sie mit den Vergütungsexzessen eine Dummheit begehen, die nichts mit den Weltmarktverhältnissen zu tun hat.»
Sie beide schlagen den Sack und meinen den Esel – und damit auch sich selbst. Vielleicht müssten sich Monika Rühl und Heinz Karrer einmal auf eine sehr, sehr lange Wanderung nicht mit dem Volk begeben, sondern mit freisinnigen Bundesräten und bürgerlichen Parteipräsidenten. Bestenfalls schliessen sich ihnen Urs Rohner und Andreas Koopmann an.
Die Autorin aus Zürich ist Publizistin, Moderatorin, Dozentin und Verfasserin mehrerer Bücher. Als Journalistin war sie unter anderem Chefredaktorin des «Tages-Anzeigers». Die ausgebildete Juristin (Dr. iur.) ist verheiratet und Mutter zweier Kinder.
Sie ist Mitglied des Publizistischen Ausschusses der AZ Medien.