Geschlechterdebatte
Digitaler Backlash?

Eine Kolumne von Politikphilosophin und Beraterin Katja Gentinetta zur Digitalisierungswelle und zu den Folgen für die Geschlechterdebatte.

Katja Gentinetta
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Katja Gentinetta: «Nur wenige Start-ups, die nach den herkömmlichen Spielregeln um Investoren kämpfen, werden von Frauen geleitet; und Geschichten über die nicht gerade frauenfreundliche Firmenkultur im Silicon Valley tun das Übrige.» (Archivbild)

Katja Gentinetta: «Nur wenige Start-ups, die nach den herkömmlichen Spielregeln um Investoren kämpfen, werden von Frauen geleitet; und Geschichten über die nicht gerade frauenfreundliche Firmenkultur im Silicon Valley tun das Übrige.» (Archivbild)

Keystone

Bereits bei der Wahl von Obama zum amerikanischen Präsidenten beschlich mich ein ungutes Gefühl: Zum ersten Mal in der Geschichte hätte eine Frau amerikanische Präsidentin werden können, stattdessen wurde es wieder ein Mann, wenn auch ein schwarzer. Es war offenbar damals Zeit für einen «real change» – einen neuen Mann.

Ähnlich ergeht es mir heute, wenn ich Diskussionen über die Besetzung von Verwaltungsräten verfolge: Bereits ist es kein Thema mehr, dort mehr Frauen zu haben. Entscheidender sind junge Männer: solche, die sich in der digitalen Welt auskennen. Ich werde den Eindruck nicht los, dass jetzt, wo den Frauen der Aufstieg in die Chefetagen allmählich besser gelingt, die Digitalisierung diese Entwicklung wieder zurückzuwerfen droht.

Auf den ersten Blick scheint alles für die Frauen zu sprechen

Wer sich zum Thema Digitalisierung und Frauen umsieht, trifft auf eine Fülle von interessanten – und widersprüchlichen – Artikeln: Eine besondere Chance für Frauen besteht zuallererst in besseren Bedingungen für das Home Office (womit klar ist, wem auch in der Digitalisierung die Aufgabe zufallen soll, Familie und Arbeit unter einen Hut zu bringen).

Zahlreiche Beiträge weisen darauf hin, dass sogenannte «weibliche Stärken und Talente» wie Kommunikation, Vernetzung, Integration stärker gefragt sein würden (ein Trend, der seit langem herbeigeredet wird, sich aber irgendwie nicht auf die Zusammensetzung der Chefetagen auswirkt).

Wiederum andere muntern junge Frauen auf, Unternehmerin zu werden statt sich einem Chef unterzuordnen (sic!), weil dies in der Digitalisierung viel einfacher sei (in einer Datenökonomie, die nach dem Prinzip «the winner takes all» funktioniert, ist dieser Weg allerdings nicht nur vielversprechend).

Umgekehrt ist die Dominanz der Männer bei den Datenriesen (Sheryl Sandberg ist die viel zitierte Ausnahme) offenkundig; nur wenige Start-ups, die nach den herkömmlichen Spielregeln um Investoren kämpfen, werden von Frauen geleitet; und Geschichten über die nicht gerade frauenfreundliche Firmenkultur im Silicon Valley tun das Übrige.

Dabei war die Programmierung ursprünglich in Händen von Frauen. Im Zweiten Weltkrieg, vor allem in den USA, spielten Frauen in den für den Kriegsausgang wichtigen Techniken eine entscheidende Rolle. Sie knackten Übermitt-lungscodes und sie waren in der Waffenentwicklung tätig, als Mathematikerinnen, Chemikerinnen, Elektrotechnikerinnen, Bakteriologinnen, Ingenieurinnen.

Dass ihre Leistungen später nicht annähernd so gewürdigt wurden wie die Heldentaten ihrer männlichen Kollegen, gehört zur üblichen Vermittlung der Geschichte. Doch auch in den Nachkriegsjahren dominierten sie als Programmiererinnen die Software- und damit die Computerentwicklung.

Programmierung wurde gar anstelle des Sekretariats gar als das neue Berufsfeld für Frauen propagiert – mit dem Resultat, dass der Anteil von Frauen in Computerwissenschaften in den USA Anstieg und in den frühen 1980er-Jahren mit 37 Prozent einen Höhepunkt erreichte; heute liegt er bei noch 18 Prozent.

Der erste «Digitaltag» der Schweiz war vor von Männern geprägt

Die Digitalisierung ist von den MINT-Fächern bestimmt, und diese sind weiterhin von Männern dominiert. So gesehen, ist es keine Überraschung, dass am vorgestern gefeierten «Digitaltag» die Männer in den «hot topics» weitgehend unter sich waren: sie diskutierten Forschung, Arbeitswelt, Mediennutzung, künstliche Intelligenz.

Und für die Zukunft der Schweiz wurde (von einem Nationalrat) ein «Mister Digital» gefordert (ob es auch eine «Miss» sein dürfte?). Immerhin bekamen auf der grossen Bühne auch eine SBB-Kundenbegleiterin («der Kunde» ist ja eigentlich der König), eine Gewerkschafterin (hier gibt es ein paar Herausforderungen) und eine Religionswissenschafterin (auch ein interessantes Nebenfeld) das Wort.

Systeme, auch gesellschaftliche, neigen dazu, sich selbst zu perpetuieren. Wer nun das Problem bei den Frauen sucht, wisse noch dies: Die in Harvard lehrende Verhaltensökonomin Iris Bohnet, die sich intensiv mit der Gleichstellung in Unternehmen und Organisationen befasst, kommt zum klaren Schluss: Nicht die Frauen müssen sich ändern, sondern die Spielregeln: für die Rekrutierung, die Einstellung, die Beförderung. Die Digitalisierung könnte gerade hier vieles möglich machen – wir dürfen gespannt sein.