Burkhalter-Rücktritt
Die Illusion vom Rechtsrutsch im Bundesrat

Patrik Müller
Patrik Müller
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Noch bis zum 31. Oktober ist das Bundesratszimmer das Büro von Aussenminister Didier Burkhalter.

Noch bis zum 31. Oktober ist das Bundesratszimmer das Büro von Aussenminister Didier Burkhalter.

Keystone

Man kann nicht gerade behaupten, die Rücktrittsankündigung von Didier Burkhalter habe die Schweiz erschüttert. Auf den Newsportalen der Zeitungen interessierten andere Themen mehr: Ein Artikel mit dem Titel «Sieben frische Sommersalate» wurde beim «Tages-Anzeiger» öfter gelesen als der grosse Text über den Aussenminister. Dabei ist nicht zu unterschätzen, was ein Rücktritt in einem kleinen Regierungsgremium auslösen kann. Burkhalter sagte an seiner Pressekonferenz: «Wenn auch nur eine Person wechselt, wird die Dynamik in der Regierung eine ganz andere – das ist meine Erfahrung aus 22 Jahren Regierungsarbeit» (der Neuenburger sass früher auch in den Exekutiven seiner Stadt und seines Kantons).

Im Fall von Burkhalters Demission gilt diese Erfahrung umso mehr, als er zwar die FDP vertrat, in wichtigen politischen Fragen aber nach links tendierte, etwa bei der Zuwanderung, dem Verhältnis zur EU, der Entwicklungshilfe und auch bei sozialpolitischen Themen. In seinem Departement besetzte er Spitzenposten gerne mit SP-Mitgliedern: Pascale Baeriswyl machte er zur Nummer 2 im Aussenministerium. Nach Burkhalters Rücktrittsankündigung fielen denn auch die Hüllen: Sozialdemokraten huldigten ihm («wie äusserst bedauerlich», twitterte Nationalrätin Jacqueline Badran), während die freisinnige «NZZ» forderte: «Nun ist ein bürgerlicher Bundesrat zu wählen.» Was impliziert, dass Burkhalter nach Beurteilung der Zeitung nicht bürgerlich ist. Diese Erkenntnis habe die «NZZ» ihren Lesern acht Jahre lang verschwiegen, meinte dazu CVP-Präsident Gerhard Pfister spitz.

Von der Partei entkoppelt

Bereits ist von einem nahenden «Rechtsrutsch» im Bundesrat die Rede. Der oder die Neue wird mit höchster Wahrscheinlichkeit rechts von Burkhalter stehen. Dennoch: Ob die Mehrheitsverhältnisse in entscheidenden Fragen wirklich kippen, ist keineswegs gewiss. Schon die «Machtübernahme» von FDP und SVP im Nationalrat nach den Wahlen im Herbst 2015 (sie holten die absolute Mehrheit) zeigte: Ein Richtungswechsel hat nicht stattgefunden. Das grösste Reformprojekt seit langem, die Altersreform 2020, trägt unverändert die Handschrift von Mitte-links. In einem so kleinen Regierungsgremium wie dem Bundesrat spielt nochmals eine ganz andere Dynamik – da hat sich im Lauf seiner Amtszeit schon mancher Magistrat von seiner Partei entkoppelt. Das bekannteste Beispiel der jüngeren Vergangenheit liefert Adolf Ogi (SVP), aber auch Burkhalter selbst stand zu Beginn seiner Amtszeit näher am Kern der FDP-Politik.

Hinzu kommt, dass das Kriterium «wie bürgerlich ist der Kandidat» zurzeit nicht im Vordergrund steht. Ebenso wenig wie das Geschlechter-Kriterium, auch wenn die FDP-Frauen sich 28 Jahre nach dem Rücktritt von Elisabeth Kopp wieder eine Bundesrätin wünschen. Der FDP geht es in erster Linie darum, dass Burkhalters Nachfolger wieder aus der lateinischen Schweiz kommt. Die einst dominierende Staatspartei war immer mit einem Bundesrat aus der West- oder Südschweiz vertreten, und sie spielt dort bis heute eine überdurchschnittlich wichtige Rolle. Doch anders als in der Deutschschweiz fehlen in der Romandie und im Tessin klar rechts stehende FDP-Kandidaten mit Bundesratsformat. In diesen beiden Landesteilen werden Freisinnige anders sozialisiert: Oft ticken sie etatistischer, reagieren sensibler auf Anliegen von Minderheiten und sind mehr auf Ausgleich bedacht.

Cassis ist linker als seine Fraktion

Das gilt für die meistgenannten Papabili und auch für Nationalrat Ignazio Cassis, der als freisinniger Fraktionschef im Bundesparlament und als Tessiner – der Kanton ist seit 18 Jahren nicht mehr im Bundesrat vertreten – aus heutiger Sicht die besten Chancen hat, Burkhalter zu beerben. Zwar macht er bisweilen knallharte Interessenpolitik (etwa für die Krankenkassen), aber er ist auch wendig und anpassungsfähig. Im Rating der «NZZ», das auf Auswertungen von Abstimmungen beruht, ist Cassis leicht linker positioniert als die FDP-Fraktion insgesamt.

Rechte Wirtschaftskreise stossen sich daran, dass der Mediziner und ehemalige Kantonsarzt ein Mann des Staates ist und keine Führungserfahrung aus der Privatwirtschaft hat. Und in der SVP ärgert man sich darüber, dass Cassis im Parlament gegen eine wirksame Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative antrat, obwohl diese im Tessin deutlich angenommen wurde, und sagte, die bilateralen Verträge mit der EU hätten Vorrang.

In der Europapolitik könnte Cassis immerhin zu einer Entkrampfung beitragen, wenn er bei den institutionellen Reformen («fremde Richter») einen pragmatischeren Kurs fahren würde als Burkhalter – so wie ihn etwa CVP-Bundesrätin Doris Leuthard vertritt, die ihrerseits bestreitet, Ambitionen als Aussenministerin zu haben. Mehr als ein «Rechtsrütschli» wäre das aber nicht: Der Wunsch von SVP und Rechtsfreisinnigen, dass es nach Burkhalters Abgang im Bundesrat zu einer rechten Wende kommt, dürfte eine Illusion bleiben.