Am Freitag stehen die Fusionsabstimmungen in den vier Gemeinden Mumpf, Obermumpf, Stein und Schupfart im mittleren Fricktal an. Der Leitartikel von Thomas Wehrli, Redaktionsleiter Fricktal.
Eine zentrale Frage, die sich den vier Gemeinden Mumpf, Obermumpf, Stein und Schupfart am Freitag stellt, ist so anders nicht: Geht mit der Fusion ein essenzielles Stück Heimat, vielleicht sogar: die Heimat verloren? Was die Frage nach sich zieht: Lässt sich Heimat am Gemeinde-Sein verorten? Wenn dem so wäre, wenn also durch eine Fusion die Heimat verloren ginge, müsste ich raten: Hände weg! Denn Heimat ist ein Teil der Identität, auf ihr fusst unser Selbst.
An diesem Fundament rüttelt die Fusion aber nicht. Heimat lässt sich nicht über Gemeindegrenzen definieren, sondern über die Verwurzelung in der Gesellschaft, über die Verortung im soziokulturellen Umfeld. Ein Sulzer beispielsweise, der ja seit bald sechs Jahren eigentlich ein Laufenburger ist, wird sich kaum je als «Kleinstädter» bezeichnen. Seine Identität ist das Nahe – das Sulztal, seine Menschen, seine Vereine.
Die Angst vor einem Identitätsverlust schimmert dennoch in vielen Leserbriefen zur Fusionsabstimmung durch. Weshalb? Zum einen, weil der Mensch auf tiefgreifende Veränderungen, die er nicht abschätzen kann, mit Abwehr reagiert. Das ist verständlich – und diese Ängste müssen von den Fusionsbefürwortern ernst genommen werden. Eine Veränderung kann nur mit den Hauptakteuren, also den Einwohnern, gelingen, und darf nie gegen oder ohne sie erfolgen.
Zum anderen geht mit einem Zusammenschluss tatsächlich ein Stück Nähe, ja: Vertrautheit verloren. Die Verwaltung ist für viele nicht mehr gleich um die Ecke, das Gemeindewappen ist einem fremd, dem Gemeindeammann kann man nicht mehr auf der Strasse wüst sagen, der Gemeindeschreiber kennt nicht mehr jeden beim Namen, alles wird – der Grösse geschuldet – anonymer und vermutlich sinkt auch die aktive Beteiligung am Politleben. Für die Steiner kommt erschwerend hinzu: Sie sind finanziell derzeit auf viele Franken gebettet; eine Fusion engt ihren pekuniären Handlungsspielraum markant ein.
Summa summarum, sagen die Fusionsgegner, bringt eine Fusion viele Nachteile und nur wenige Vorteile. Ergo: Nein zum Zusammenschluss, «wir möchten lieber klein und fein bleiben», wie es Peter Deubelbeiss, ehemaliger Gemeindeammann von Obermumpf und bekennender Fusionsgegner, jüngst formulierte.
Ohne Frage: Klein bleiben die vier Gemeinden bei einem Nein – fein sind sie damit nicht per se. Denn zum Fein-Sein gehört auch das Geld-Haben. Und hier ist es bei drei der vier Gemeinden – Stein ist die Ausnahme – heute nicht zum Besten gestellt. Und: Der finanzielle Spielraum dürfte in Zukunft noch enger werden, da die Zahl der finanzrelevanten Aufgaben wächst.
Aus rein pekuniärer Sicht ist es ein Gebot der Stunde, neue Wege zu gehen – ganz abgesehen davon, dass dieser Weg vom Kanton mit einem einmaligen Zustupf von insgesamt 7,6 Millionen Franken alimentiert wird und dass zwischen 2018, dem Start der neuen Gemeinde, und 2025 weitere 600 000 Franken pro Jahr fliessen. Dies löst zwar nicht sämtliche Probleme, ist aber – wenn sich der dannzumalige Gemeinderat nicht allzu ungeschickt anstellt – eine recht komfortable Ausgangslage.
Neben diesem finanziellen Aspekt sehe ich vorab fünf Gründe, weshalb eine Fusion Sinn macht. Die vier «kleineren» vorweg: Der Gemeindebann entspricht heute nicht mehr dem Lebensraum; früher spielte sich alles in der Gemeinde ab, heute nur noch ein (kleiner) Teil. Das führt, zweitens, dazu, dass der Kontakt mit der Verwaltung heute grossteils online oder per Mail erfolgt. E-Government heisst das Zauberwort.
Drittens wird der Einfluss der Gemeinde grösser. Wenn Brugg etwas sagt, hört der Kanton sicher besser hin, als wenn Obermumpf das gleiche verlauten lässt. Ob er auch zuhört, ist eine andere Frage. Viertens sind die Möglichkeiten der Zusammenarbeit heute weitgehend ausgereizt.
Fünftens fällt die Kosten-Nutzen-Rechnung der Fusion positiv aus. Eine mittelgrosse Gemeinde kann sich, nein: sie muss sich eine Verwaltung leisten, in der die Funktionen klar abgegrenzt sind und in der für jeden zentralen Aufgabenkreis eine fachkompetente Stellvertretung bereit steht; ein Gemeindeschreiber ist nicht en passant noch Bauverwalter, ein Finanzer betreut nicht nebenher noch die Einwohnerkontrolle.
Die Verwaltung arbeitet professioneller, was wiederum dazu führt, dass der Gemeinderat vermehrt auf der strategischen Ebene agieren kann und sich weniger um das Operative kümmern muss. Das setzt allerdings voraus, dass die Exekutive mit Personen besetzt ist, die dies auch können (und wollen). Eine Gemeinde mit 6000 Einwohnern kann dabei auf einen sechsmal so grossen Pool zurückgreifen als eine Gemeinde mit 1000 Einwohnern.
Dass es ein immer grösseres «Reservoir» braucht, um genügend fähige Kandidaten zu finden, sieht man an den Schwierigkeiten, die viele Gemeinden haben, frei werdende Sitze überhaupt zu besetzen. Kampfwahlen (und damit eine Aus-Wahl), wie früher, gibt es kaum mehr. Man mag dies bedauern – doch es ist eine gesellschaftliche Realität, die nicht zuletzt der zunehmenden Individualisierung und der Ego-Fokussierung geschuldet ist.
Ganz klar: Die Fusion hat, wie beschrieben, auch negative Aspekte. Doch, Hand aufs Herz: Haben Sie je von einer tiefgreifenden Veränderung gehört, die nur positive Seiten hat? Ich nicht. Eine Swiss beispielsweise konnte nur entstehen, weil eine Swissair mit ihren schwerfälligen, wenig flexiblen Strukturen groundete. Der Moment des Stillstandes war ein Schock für die Schweiz. Das Nationalsymbol schwankte. Und fiel. Heute fliegt die Swiss anderen Airlines um die Ohren.
Wohlverstanden, das soll nun nicht heissen: Lasst uns die Gemeinden frisch-fröhlich grounden und in Grosskonglomeraten aufgehen! Aber ich bin überzeugt: Die Gemeindestrukturen, wie sie historisch gewachsen sind – und wie sie historisch durchaus Sinn machten – müssen überprüft und angepasst werden. Das Argument, das ich des Öfteren höre: «Es war 1000 Jahre so und es war gut so», taugt nicht. Denn diese Sichtweise verharrt in der Vergangenheit – und verschliesst sich dem Blick auf die Zukunft.
Die Frage ist: Wie sieht diese Zukunft aus? Ich weiss es ebenso wenig wie Sie. Mein Gefühl sagt mir: Sie wird grossflächiger sein. Ein Bezirk Laufenburg mit einer oder zwei Gemeinden oder Verwaltungszentren, wie sie unlängst auch der scheidende Zeiher Gemeindeammann Thomas Dinkel, SVP, in den Raum stellte, halte ich für den richtigen (Denk-)Ansatz. Ob es am Schluss eine oder vier Gemeinden sind, ist derzeit irrelevant. Der Weg ist das Ziel. Und nicht das Ziel der Weg.