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Vier prominenten Führungskräften, die ihre Position verloren, ist gemeinsam, dass sie keine Fehler einräumen, sondern ihre Demission gewissermassen als Opfergabe in einem höheren Interesse darstellen.
Die Begründungen wiederholen sich. Patrik Gisel trete als CEO der Raiffeisen zurück, um «die öffentliche Debatte um meine Person und die Bank zu beruhigen» und die «Reputation der Raiffeisen zu schützen», teilte das Unternehmen am Mittwoch mit.
Wenige Wochen davor demissionierte ein anderer Bankchef, Pascal Koradi, CEO der Aargauischen Kantonalbank und früherer Finanzchef der Post. Sein Schritt diene der «Wahrung der Reputation der Bank». Hintergrund: Der Verdacht, dass bei Postauto Subventionen in Millionenhöhe erschlichen worden sind.
Diese Affäre kostete auch die oberste Postchefin das Amt. Susanne Ruoff betonte, sie habe nichts von den fiktiven Buchungen gewusst, übernehme aber dennoch die Gesamtverantwortung. Post-Verwaltungsrätin Susanne Blank gab ihr Amt ebenfalls ab – «um der Post einen Neuanfang zu ermöglichen».
Den vier Führungskräften ist gemeinsam, dass sie keine Fehler einräumen, son- dern ihre Demission gewissermassen als Opfergabe in einem höheren Interesse darstellen. Bei den drei CEOs kommt hinzu, dass sie diese als freiwilligen Schritt bezeichnen, obwohl vieles darauf hindeutet, dass sie einem Rauswurf zuvorgekommen sind.
Nach einer längeren ruhigen Periode herrscht in der Schweizer Wirtschaft wieder Flugwetter. Solche Zeiten gab es immer schon, selbst bei der betulichen Post. Man erinnert sich an die Kurzzeit-Chefs Reto Braun, Michel Kunz und Claude Béglé, die den zweitgrössten Arbeitgeber der Schweiz mit Getöse verliessen. Ganz zu schweigen von den Grossbanken, wo sich in Krisenzeiten die Chefs die Klinke in die Hand gaben: Peter Wuffli, Marcel Ospel, Marcel Rohner, Oswald Grübel lautete die CEOParade bei der UBS.
Fünf Jahre lang verweilt ein CEO in Europa durchschnittlich in seinem Job, bis er freiwillig oder (in jedem fünften Fall) unfreiwillig abtritt. Sobald ein Chef durch eine Affäre angeschlagen ist und erstmals das Wort «Rücktritt» im Raum steht, entfaltet sich eine Dynamik, die oft nach ähnlichem Muster verläuft:
Phase 1: Der Chef demonstriert Entschlossenheit und Krisenfestigkeit. «Ich trete nicht zurück», sagte Susanne Ruoff beim Auffliegen des Postautoskandals im Februar. «Ich trete sicher nicht zurück», sagte Patrik Gisel im April, als ihm fehlende Unabhängigkeit gegenüber seinem früheren Chef Pierin Vincenz vorgeworfen wurde, gegen den die Justiz ermittelt.
Phase 2: Häppchenweise kommen neue Details zum Skandal ans Licht. Die Medien- aufmerksamkeit wächst weiter. Die Kommunikationsberater übernehmen. Meist lässt sich der CEO nicht nur von seiner eigenen Unternehmenskommunikation, sondern von Agenturen beraten, da sein persönliches Interesse nicht mit dem der Firma deckungsgleich sein muss. Die Medien werden von allen Seiten gefüttert, mit belastenden und entlastenden Informationen.
Phase 3: Die Chefs des Chefs – also die Verwaltungsräte – werden nervös. Sie fragen sich, inwiefern die Affäre auf sie selbst zurückfallen könnte, wenn sie nicht handeln. Der CEO äussert sich nun nicht mehr öffentlich. In den Medien werden schon die ersten Namen von möglichen Nachfolgern genannt.
Phase 4: Der Chef und/oder der Verwaltungsrat realisieren, dass ein Rücktritt unumgänglich ist. Jetzt kommt das berühmte Reputations-Argument. Es dient dem CEO, sich in Würde zu verabschieden, ohne ein Scheitern einzugestehen.
Natürlich gibt es auch andere Verläufe. Urs Rohner, Verwaltungsratspräsident der Credit Suisse seit 2011, sah sich wiederholt mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Am Paradeplatz wettete manch einer auf seinen Abgang, etwa nach einer Milliardenbusse gegen die CS in den USA. Doch der ehemalige Spitzen-Hürdenläufer ist nervenstark und ein gewiefter Kommunikator – er blieb. Interessant ist das Argument, das Rohner nach der USA-Steueraffäre 2014 für seinen Verbleib vorbrachte: «Ich bin keiner, der davonläuft.»
Das Motiv eines Chefs, um sein Amt zu kämpfen, muss nicht zwingend Sturheit und Sesselkleberei sein. Wenn einer eine Affäre mitverursacht oder nicht verhindert hat, dann will er sie womöglich aus einem Verantwortungsgefühl heraus auch selber bewältigen. Gerade in Zeiten, wo das halbe Management rausfliegt, gehen Erfahrung und Know-how verloren, die es bei der Krisenbewältigung bräuchte. Bei der Swissair war zuletzt praktisch keiner mehr da, der das komplexe Konzerngeflecht und dessen Finanzströme verstand. Auf einmal war dann die Liquidität weg.
Oft aber überschätzt sich der Chef und verkennt die Realität: Nur er und kein anderer könne den Kessel flicken, glaubt er. Die UBS musste in der Subprime-Krise ab 2007 Milliarden und Abermilliarden von Franken abschreiben, doch UBS-Präsident Marcel Ospel sah sich noch immer als «Teil der Lösung». Diese Fehleinschätzung ist an ihm hängengeblieben, Ospel wird von der Gesellschaft bis heute gemieden und gilt als Schuldiger des UBS-Debakels. Eine zu einfache, unfaire Erklärung. Rückblickend würde Ospel wohl viel früher abtreten – «um die Reputation der Bank zu schützen», wie es dann hiesse.