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In seiner Analyse zur Debatte um die «Jugendsünden» des Richterkandidaten Brett Kavanaugh schreibt Autor Christoph Bopp: «Beim Fall Kavanaugh geht es nicht primär um Sex, sondern darum, wie in privilegierten Schichten in den USA mit ‹Jugendsünden› umgegangen wird.»
Die Anhörungen im Fall Brett Kavanaugh scheinen auf die Frage zuzulaufen: Soll ein Jugend-Exzess einen Menschen bis ins Erwachsenenalter verfolgen? Sind die Anhörungen nichts anderes als eine politisch motivierte Hetzjagd? Eine «Hexenjagd», wie Donald Trump die Untersuchungen über die Russland-Connection seiner Wahlkampf-Organisation nennt? Anders als sein Präsident kann der Richterkandidat immerhin noch mildernde Umstände – pubertären Testosteron-Überschuss – geltend machen.
Der Verdacht, ginge es nur um zu viel Alkohol, wäre die Aufregung kleiner, liegt ebenfalls nahe. Geht es beim Kavanaugh-Fall nicht primär um Sex? Wie? Worum sonst? Schliesslich wird von den betroffenen Frauen gerade diese Erinnerung an eine zutiefst erniedrigende Erfahrung angeführt. Natürlich ist Sex dabei. Die Wellen, die der Fall wirft, wären ohne die vorangegangene #MeToo-Debatte wohl nicht so hoch. Man übersieht hier gerne den voyeuristischen Aspekt. Die #MeToo-Diskussion stammt aus Hollywood und betraf (zuerst) Prominente, deren Aktivitäten auch sonst medial stark beobachtet werden. Die Aufmerksamkeitsökonomie spielt eine wichtige Rolle.
Über Sex und Gewalt zu reden, ist extrem schwierig. «Mittelweg», die Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung, hat diesem Komplex ihr August/September-Heft gewidmet. Und – glaubt man den Autorinnen – ist das Verhältnis immer noch weitgehend unterbestimmt. Was unterscheidet sexuelle Gewalt von anderen Gewalttaten? Ist bei etwas, was passiert ist, «Gewalt» im Spiel, ist es sofort delegitimiert. Man muss dann sagen, wie der Vorgang auf legitime Weise allenfalls hätte vonstattengehen können. Bei sexueller Gewalt reduziert sich das dann schnell aufs Einverständnis. Liegt es vor, ist keine Gewalt da, wurde es nicht explizit gegeben, dann schon. Man hat sich ausgiebig darüber lustig gemacht. Die Unterscheidung ist einleuchtend, aber wohl nicht praktikabel. Viele – unter ihnen durchaus auch #MeToo-Fälle – liegen in einer Grauzone.
Wenn wir jetzt über die Kavanaugh-Anhörungen reden wollen, müssen wir klarstellen, dass es sich hier nicht um einen klassischen #MeToo-Fall handelt. Die sind in einer hierarchischen Machtsituation angesiedelt, wobei die Machtdifferenz meist von Männern ausgenützt wird. Frauen werden gefügig gemacht, indem ihnen (berufliche) Nachteile angedroht werden. Vermieden oder verhindert werden können diese Fälle nur institutionell. Das heisst, es müssten in den Organisationen Stellen eingerichtet werden, wo sich betroffene Frauen melden können. Und die Organisationen müssen auch bereit sein, danach zu handeln und Fehlbare zu sanktionieren – und wenn es der Chef selbst ist.
Beim K-Fall geht es eher um einen anderen Aspekt, den der NZZ-Korrespondent Peter Winkler in einem Kommentar deutlich gemacht hat. Es geht darum, wie in privilegierten Gesellschaftsschichten – denen alle Beteiligten angehören – mit sogenannten «Jugendsünden» umgegangen wird. Privilegierte Jugendliche können ziemlich sicher sein, dass ihnen ihre «Jugendsünden» später nicht angerechnet werden.
In den Anhörungen gaben beide Parteien zu Protokoll, ihrer Version «zu 100 Prozent» sicher zu sein. Und beide sollen glaubhaft gewirkt haben. Der NZZ-Kommentar lenkt den Fokus aufs «Kampftrinken»; Alkoholexzesse im Teenageralter. «Filmrisse» sind da möglich. Das könnte immerhin erklären, warum der Kandidat glaubhaft vorbringen kann, von nichts zu wissen.
In der Jugend darf man sich austoben, später wird dann darüber der Mantel des Schweigens gebreitet. Wie war das schon mit Präsident George Bush junior? Gegen Gewalt wehren sich die Frauen zu Recht. Aber auch gegen diese Praxis. Wenn diese Jugendlichen schon auftreten mit dem Anspruch, für «höhere Aufgaben» so oder so vorgesehen zu sein, sollen sie sich auch während der Adoleszenz diesen Ansprüchen gemäss benehmen. Jung-Adeligen soll man nicht alles durchgehen lassen. Natürlich bleibt der Fall schwer. Fehlverhalten bleibt Fehlverhalten, «Filmriss» hin oder her. Aber den Moment zu suchen, in dem «das Fass überläuft» und es erst dann berechtigt ist, Jugendsünden als moralisch relevant zu betrachten, kann es nicht sein.