Kommentar
Der Bischof und der Imam im Fernduell

Andreas Maurer
Andreas Maurer
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Laut Staatsanwaltschaft "eine Gefahr für die Öffentlichkeit": Der 25-jährige Äthiopier am Donnerstag vor Gericht.

Laut Staatsanwaltschaft "eine Gefahr für die Öffentlichkeit": Der 25-jährige Äthiopier am Donnerstag vor Gericht.

KEYSTONE/WALTER BIERI

Der Churer Bischof Vitus Huonder zitierte 2015 an einem Kongress eine Passage aus dem Alten Testament. Wenn zwei Männer miteinander schlafen würden, dann würden sie eine Gräueltat begehen, dozierte er. Beide sollten mit dem Tod bestraft werden. Ihr Blut solle auf sie kommen. Als Huonder in die Kritik geriet, verteidigte er sich, es handle sich um ein Missverständnis.

Der Winterthurer Teilzeit-Imam Abdirahman Y. zitierte 2016 in einer Predigt eine Passage aus dem Koran. Muslime, die nicht in der Gemeinschaft beteten, sollten verbannt und verleumdet werden, dozierte er. Sollten sie dennoch nicht in die Moschee zurückkehren, sollten sie getötet werden, und zwar auch dann, wenn sie zu Hause beten würden. Sie seien in ihren Häusern zu verbrennen. Als Y. in die Kritik geriet, verteidigte er sich, es handle sich um ein Missverständnis.

Die Staatsanwaltschaften von Graubünden und Winterthur eröffneten gegen ihren jeweiligen Prediger ein Strafverfahren wegen des Aufrufs zu Gewalt. Die Bündner stellten es ein, weil die Äusserung für diesen Tatbestand zu wenig eindringlich gewesen sei. Das Kantonsgericht bestätigte dies. Die Winterthurer hingegen brachten den Fall vor Gericht, das den Prediger nun verurteilt hat. Der Tatbestand sei erfüllt, da der Aufruf eindringlich gewesen sei.

Das neue Urteil zeigt: Es sind Nuancen bei der Interpretation einer Predigt, die entscheiden, ob sie legal oder illegal ist. Die richterliche Botschaft setzt einen neuen Massstab für alle Prediger. Sie können sich nicht mehr hinter Zitaten verstecken.