In ihrer Analyse zur Beziehung von Mensch und Tier schreibt Rebecca Wyss, Redaktorin Leben & Wissen: «Kein Tierleben der Welt ist mit einem Menschenleben gleichstellbar.»
Basel-Stadt und Genf machen es vor: Die Basler werden voraussichtlich 2019 darüber abstimmen, ob Menschenaffen Grundrechte zugestanden und Tierversuche an ihnen abgeschafft werden sollen. Und die Genfer, ob es bessere Kontrollen für Tierversuche braucht. Jetzt geht aber auch auf Bundesebene etwas: Vergangene Woche stellte ein St. Galler Komitee eine «Tierversuchsverbots-Initiative» vor. Ein radikales Volksbegehren. Dieses will Tier- und Menschenversuche ganz verbieten, wie es heisst. Ebenso wie Import und Export von Produkten von Branchen, die Tierversuche durchführen. Die Unterschriftensammlung läuft.
Zeit, sich einige Gedanken zum Verhältnis von Mensch und Tier zu machen. Um das geht es letztlich bei den Vorstössen. Dieses Verhältnis hat sich verändert. Und zwar erst mal zum Positiven. Aber der Reihe nach. Zu meiner Grossmutters Zeiten landete das allseits geliebte Hausschwein Rita selbstverständlich als Schweinswurst oder Schwarte an einem Sonntag auf dem Teller (meist des Vaters). Bäri, der Hof-Hund, musste von alleine in den kalten Winternächten irgendwo in der Scheune ein warmes Plätzchen finden – in der Stube bei der Familie hatte er sicher nichts zu suchen. Und das Leben jedes zweiten Büsis fand meist an der nächsten Hauswand ein jähes Ende, weil manche Bauern nicht noch mehr Katzen wollten.
Heute ist das alles zum Glück unvorstellbar. Längst haben wir uns den Tieren angenähert. Längst ist der Schutz der Tierwürde als Prämisse in der Gesellschaft angekommen. Das zeigt sich schon daran, dass ein Drittel der Schweizerinnen und Schweizer sich ausschliesslich oder zumindest öfter vegetarisch oder vegan ernährt. Aus tierethischen Gründen. Früher wurden Vegetarier als körnerpickende Birkenstockträger abgestempelt und Veganer – die kannte man nicht einmal vom Hörensagen. Heute kräht danach kein Hahn mehr: In den Buchläden stapeln sich die Hochglanz-Kochbücher voller Vegi-Rezepte. Und Foodblogger überhäufen uns mit Fotos von Tofu-Currys in allen Variationen.
Die wachsende Liebe zum Tier spüren auch die Tierschutzorganisationen. Die Spendenbereitschaft ist gewachsen, wie der Schweizer Tierschutz (STS) jüngst gegenüber der «NZZ am Sonntag» sagte. Gestiegen ist auch der Wille, Tierhalter wegen Vergehen zu melden. Alleine deshalb beschäftigt der STS zwei Tierärzte, die den ganzen Tag nichts anderes machen, als solchen Hinweisen nachzugehen. Das ist gut so. Fälle wie jener in Hefenhofen TG, bei dem ein Bauer jahrelang seine Pferde misshandelte, kommen so ans Licht – wenn sie wohl auch nicht ganz verhindert werden können.
Die Liebe zum Tier treibt aber auch kuriose Blüten. Vor allem dann, wenn Mensch und Tier verglichen, gar gleichgestellt werden. Das zeigen mehrere Fälle. Jener von Jonas Fricker zum Beispiel. Der Grünen-Nationalrat musste zurücktreten, weil er einen Schweine-Transport mit der Massendeportation der Juden verglich. Er wollte damit auf die miserablen Zustände bei Tiertransporten aufmerksam machen. Das misslang gründlich. Fricker steht nicht allein. Auch der radikale Tierschützer Erwin Kessler bezieht sich hin und wieder auf den Holocaust. Zum Beispiel wenn er vom Hühner-KZ auf seiner Website schreibt.
Richtig absurd ist eine andere Geschichte, die im Sommer publik wurde: die Affenselfie-Affäre. 2011 hatte der Makake Naruto im indonesischen Urwald breit in die Kamera eines Fotografen gegrinst und selbst auf den Auslöser gedrückt. Die Tierschutzorganisation Peta klagte dann im Namen des Affen auf die Rechte an den Bildern. Und kam damit vor Gericht durch. Über diesen Fall kann man bestenfalls lachen. Frickers und Kesslers Vergleiche sind hingegen fahrlässig und falsch. Aus zwei Gründen. Sie sind respektlos gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus. Und unabhängig davon: Kein Tierleben der Welt ist mit einem Menschenleben gleichstellbar. Oder aufwiegbar. Wenn es um Menschenleben geht, hört für die meisten die Tierliebe auf. Zwar ist es heute möglich, an Zellen aus dem Reagenzglas und mit Computerverfahren Heilmittel zu testen. Solche Versuche stossen aber an Grenzen. Zellen und Computersimulationsprogramme können keinen Schmerz empfinden, Depressionen oder Durchfall haben. Dies kann oft nur am lebenden Organismus untersucht werden. Fest steht: Wenn ein geliebter Mensch schwer krank wird, würden wir viel drum geben, ihn heilen zu können. Auch ein Tierleben. Und das ist der Punkt. Die «Tierversuchsverbots-Initiative» verbietet das.