Simon Libsig über innovative Zweckentfremdung. Der Spoken-Word- Poet (38) schreibt nach «Leichtes Kribbeln» zurzeit an seinem zweiten Roman. Seine Kolumne erscheint immer am ersten Donnerstag im Monat.
Ehrlich gesagt, ich habe ihn noch nie gesehen. Aber ich höre ihn fast jeden Tag. Meistens schrecke ich auf, und mit mir wahrscheinlich das halbe Quartier. Es ist noch dunkel draussen, wenn er mit seiner Höllenmaschine losknattert.
Ich werde aus dem Traum gerissen wie ein eiternder Backenzahn aus dem Kiefer. Schmerzhaft und mit Gewalt. Jawohl, mit Gewalt! Denn ich fühle mich danach wie erschlagen, fassungslos ob dieses Motorenlärms. Klar, ich kenne mich nicht aus.
Ich bin ein Ignorant in der Welt des Hubraums und der Pferdestärken, aber mein Gefühl und mein Trommelfell sagen mir, dass dieses Gefährt eher für Paris–Dakar konzipiert wurde als für Badener Quartiersträsschen.
Natürlich ist das kein Argument. Wir alle tun es täglich, Dinge zweckentfremden. Wir legen Fünfräppler auf den Tisch als Wespen-Abwehr, wir kratzen uns mit dem Kochlöffel am Rücken oder öffnen Bierflaschen mit dem Feuerzeug.
Wir tragen T-Shirts als Nachthemden, benutzen Robidog-Säckli als Wasserballons oder den Brieföffner als Mordwaffe. Und das ist ein Argument. Wenn jemand anderes durch die Zweckentfremdung eines Dings Schaden nimmt, dann würde ich dafür plädieren, dass man diese Art der Zweckentfremdung einfach unterlässt.
Insofern bin ich hier ein Innovations-Verhinderer, denn eine Zweckentfremdung bedeutet meistens Innovation. Innovativ fände ich beispielsweise, wenn «Dä mit em Töff», wie ich den Unbekannten für mich nenne, seinen ohrenbetäubenden Feuerstuhl zu einem schnurrenden Fahrrad umbauen und damit am Paris-Dakar-Rallye teilnehmen würde! Von mir aus solarbetrieben! Ich bin überzeugt, viele würden ihm plötzlich auf die Schulter und nicht auf die Finger klopfen wollen, wenn er Vollgas gibt.
Aber wer bin ich denn überhaupt, mich wegen der ganzen Sache dermassen aufzuplustern? Das gibt nur Falten. Und ich möchte mich ent-falten. Und sind wir ehrlich, Ihnen geht es auch nicht besser.
Es gibt immer einen «Dä» oder eine «Die», egal wo man wohnt. Dä mit em Rasemäher ... mit em Hund ... mit em Stumpe ... mit de grosse Schnurre ... mit em Altglas ... die mit de Wösch ... mit de Chatze ... mit de Goofe ... Dä mit em Mundgruch ... mit de Gitarre ... die mit de luute Stimm ...
Es wimmelt geradezu von «Däs» und «Dies» um uns herum. Und die beobachten uns, und denken dasselbe.
Vielleicht bin ich für «Dä mit em Töff» einfach «Dä mit de Kolumne» ... und damit wäre ich wohl noch gut bedient.