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Korrespondent Felix Lee analysiert den überraschend schnellen Wandel bei der Elektromobilität in China. Die Entwicklung lässt den Autobauern keine Wahl. VW reagiert – der Konzern will Milliarden in E-Fahrzeuge investieren.
Bis vor kurzem fristete auch in China der Markt für Elektroautos eher ein Nischendasein. Dabei ist es seit Jahren erklärter Wille der chinesischen Führung, den Anteil von strombetriebenen Fahrzeugen deutlich zu erhöhen. Doch den meisten Chinesen war eine hohe PS-Zahl wichtiger als niedrige Abgaswerte. Volkswagen, Daimler, BMW und die anderen Autobauer wiederum sahen wenig Anlass, ihre Fahrzeugpalette gross umzustellen, solange sich ihre benzingetriebenen Gefährte weiter gut verkauften.
Doch seit einiger Zeit übt Chinas Führung enormen Druck aus. Sie hält an ihrem Ziel fest, dass bis 2020 mindestens fünf Millionen Elektroautos auf Chinas Strassen fahren. Bis 2025 soll schliesslich ein Fünftel aller verkauften Fahrzeuge an der Steckdose aufladbar sein. Damit Volkswagen weiterhin Marktführer auf dem weltgrössten Automarkt der Welt bleibt, hat der Wolfsburger Konzern nun auf diese anstehenden Vorgaben reagiert.
Am Rande der Automesse im südchinesischen Guangzhou teilte Volkswagen-China-Chef Jochem Heizmann am Donnerstag mit, dass sein Unternehmen in den nächsten sieben Jahren zusammen mit den chinesischen Partnern rund zehn Milliarden Euro in die Elektromobilität investieren werde. Das Ziel: Bis 2025 sollen rund 40 Fahrzeugmodelle mit alternativen Antrieben produziert werden – noch einmal 25 Modelle mehr als bereits vorgesehen. Der Markt für Elektroautos entwickle sich in der Volksrepublik «schneller als in anderen Teilen der Welt», begründete Heizmann diese Entscheidung. Bis 2020 wolle VW auf seinem wichtigsten Markt rund 400'000 E-Fahrzeuge jährlich verkaufen. Bis 2025 soll der Absatz dann gar auf 1,5 Millionen steigen.
Diese Entscheidung hat der Volkswagen-Konzern keineswegs freiwillig gefällt. Vor einem Jahr hat Chinas Führung eine Produktionsquote für E-Autos vorgegeben. Nach einem bestimmten Punktesystem müssen dann zehn Prozent aller in China verkauften Autos über einen Hybridantrieb oder einen Elektromotor verfügen. Diese Regelung sollte ursprünglich bereits ab 2018 gelten. Nach heftigen Protesten – vor allem von den deutschen Autoherstellern – verschob die chinesische Führung diese Vorgabe dann aber nochmals um ein Jahr. Nun spricht VW-Vorstandsmitglied Heizmann von einer «richtigen Lösung». Als «Schlüsselherausforderung» sieht Heizmann auch gar nicht die E-Quote an sich, sondern Vorgaben der chinesischen Regierung zum Spritverbrauch. Demnach dürfe die gesamte Fahrzeugflotte eines Herstellers künftig im Durchschnitt nicht mehr als fünf Liter auf 100 Kilometern verbrauchen. «Das ist eine schwierige Vorgabe.»
China ist der grösste und am schnellsten wachsende Automarkt der Welt: Im vergangenen Jahr haben die Chinesen 24 Millionen Autos gekauft, 17 Prozent mehr als im Jahr davor. Das Land dominiert damit ein knappes Drittel des weltweiten Fahrzeugmarktes. Und auch bei der Elektromobilität steht China an der Weltspitze. Im vergangenen Jahr fanden insgesamt 355'000 Autos mit neuer Antriebsform einen chinesischen Käufer. Diese Zahl ist für 2017 bereits übertroffen worden: Bis August lag der Absatz schon bei 346'000 E-Autos, damit entfällt die Hälfte des Weltmarktes auf die Volksrepublik. Das Problem aus Sicht der chinesischen Regierung ist Folgendes: So sehr sie in den vergangenen Jahrzehnten versucht hat, chinesische Autos auch weltweit zu vertreiben – gelungen ist ihr das nicht. Mit den etablierten Autonationen, allen voran Deutschland und Japan, hat es China nicht aufnehmen können. Beim Markt für Autos mit Verbrennungsmotoren haben die chinesischen Autobauer inzwischen aufgegeben.
Doch mit der elektrischen Revolution werden die Karten nun neu gemischt. Mit massgeschneiderten Regeln sorgt Peking dafür, dass die Japaner, Koreaner, Amerikaner und Deutschen vor Ort herstellen, wenn sie am chinesischen Wachstumsmarkt teilhaben wollen. Den eigenen, grossen Markt nutzt Peking dabei ohne Skrupel, um die Entwicklung im eigenen Sinn zu lenken. So erhalten Elektroautos beispielsweise nur dann Subventionen, wenn die Batterien von bestimmten Herstellern stammen. Meist treffen die Kriterien dabei nur auf einheimische Anbieter zu.
felix.lee@azmedien.ch