Es tönt verlockend: wie der Lieblingsitaliener selber Gelati produzieren. Also wird die Küche zum Glacelabor. Ein Versuch mit Happy End, aber erst nach mehreren Durchläufen.
Glace ist ein kleines Glück und erst noch ein ziemlich bezahlbares. An den ersten Frühlingstagen überfällt es uns dennoch mit grosser Wucht.
Wie lange der Winter doch gedauert hat und wie sehr man dieser ersten Kugel vom Lieblingsgelatiere entgegengehofft hat.
Abends nicht unter die Dusche, nur damit der Geruch nach Zucker und Wärme auf dem Gesicht mit ins Bett kommt. Am Strand in Italien und mit einer Portion Nocciola in der Hand ist dieses Glück sehr klassisch. Wählt man die über 60-jährige Rakete, ist es überaus verlässlich. Nur manchmal fordert Glace heraus. Etwa, wenn man zwei Kugeln Schokolade bestellt, aber vergessen hat, dass man ein weisses Kleid trägt. Und dann sind da noch abenteuerliche Geschmacksrichtungen. Trüffel und Schlumpf, muss das sein?
Unter dem Strich verbessert Glace dennoch immer die Laune. Ein paar Löffel Stracciatella verwandeln mürrische Erwachsene in schleckende, schlabbernde Geniesser. Sommer im Bauch, Sommer im Kopf. Würden alle Menschen jede Woche davon naschen, die Welt wäre eine bessere. Zumindest ein bisschen.
5,4 Liter Glace schlecken die Schweizerinnen und Schweizer pro Jahr. Es liegt zwar keine Familienstatistik vor, aber das Bauchgefühl sagt: Wir liegen deutlich darüber. Unser Kleiner würde Glace zum Frühstück als Menschenrecht verankern, wenn er könnte. Gut, ist er zu jung für politisches Engagement. Trotzdem ist letzten Sommer eine Eismaschine bei uns eingezogen. Eine mit Kompressor. Die Testsiegerin. Rakete, Pralinato und Cornet sind lecker, irgendwann ist gerade überfleissigen Glaceessern nach anderem. Nach der Sorte Gasparini etwa, die es leider nicht an jeder Ecke gibt. Und nach Selbstgemachtem, ohne Geschmacksverstärker, ohne Zusatzstoffe.
Es war Liebe auf den ersten Versuch. Nach etwas weniger als einer Stunde schmiegte sich Nussglace fast schon elegant ins Schüsselchen. Keine Eiskristalle, keine zu flüssige Sauce, sondern das perfekte Dazwischen, die Nüsse noch immer knusprig. Und das, ohne viel mehr dazu beigetragen zu haben, ausser die Zutaten zu mischen (und die Bedienungsanleitung genau zu lesen). Der Besuch fragte anerkennend: Wirklich selber gemacht?
Fünf Wochenenden ging das süsse, unbeschwerte Glaceleben so weiter. Dann meinten die Kinder: Dauert zu lange. Rakete, jetzt! Der Mann sagte: zu gross und zu schwer, dieses Zwölf-Kilo-Ding.
Die logische Folge: Der Koloss hatte immer weniger zu tun und verstaubte auf der Küchenablage, dann wanderte er in den Keller und ging dort vergessen. Seit diesem Frühling wohnt er nun bei einem anderen Menschen, der ihn mir übers Internet abgekauft hat.
Doch auch dieses Jahr gibt es selber gemachte Glace. Ganz ohne Maschine. Wenn die Kinder schlafen, werden Erdbeeren und Mangos gehackt und püriert, mit Wasser und Joghurt oder Rahm gemischt, es werden Vanilleschoten ausgekratzt, Eier mit Milch aufgekocht. Die Masse gefriert über Nacht im Tiefkühler und am nächsten Nachmittag, wenn es heiss und allen nach Glacé ist: Tadaaah!
Tönt einfach, ist es nicht. Im Internet wimmelt es von Glacerezepten, in Buchläden von Glacebüchern. Welche Anleitung wählen? Schwieriger, als sich bei Starbucks seinen Kaffee zusammenzustellen. Bei Glace heissen die Fragen: mit Zucker oder mit Honig? Mit Kokosmilch oder Joghurt? Mit Stabilisator wie Speisestärke oder ohne? Wir haben getestet und bewertet, neu produziert, wieder getestet und bewertet. So fühlt es sich also an, Glaceforscher zu sein. Frozen Yoghurt mit Wassermelone: einstimmiges Nasenrümpfen.
Die Melone hat im Tiefkühler ihren Geschmack verloren, das Joghurt seine Geschmeidigkeit. Es kommt nun als Eisblock daher, den man nur beissend bezwingt. Nichts für die Schlecker, welche die Mehrheit der Glaceesser ausmachen.
Die Zusatzstoffe sind also doch berechtigt, denkt man sich. Sie halten die Glace auch über lange Zeit im Gefrierfach weich und garantieren, dass es – einmal draussen an der Sonne – nicht zu rasch schmilzt. Viele unserer Kreationen tauten zuerst lange kaum auf, dann dafür im Eiltempo. Und schon schlängelte sich die Sauce über die Finger bis zum Handgelenk. Der Serviettenvorrat ist jedenfalls aufgebraucht.
Erdbeer- und Mango-Wasserglace schmecken um Welten besser als der Melonenversuch. Doppelt so viele Früchte wie Wasser nehmen, ein paar Löffel Honig dazugeben, mixen. Und wenn Glaceselbermachen noch einfacher gelingen soll, greift man zu Sirup und Fruchtsaft. Sirup (zum Beispiel Holunderblüte) in die Form füllen, ein paar zerquetsche Früchte dazugeben. Oder: Multivitaminsaft mit etwas Schwarztee mischen, einfüllen. Finito, würde der Gelatiere im Süden sagen.
Der letzte Versuch: Vanilleglace mit Oreostückchen. Die Meinung der jungen Testesser: wunderbar. So wunderbar, dass Stengelglace nun nicht mehr genügt und mehr her muss. Also in die Kuchen- oder Auflaufform damit. Und plötzlich ist Glaceselbermachen nicht mehr so bequem wie mit den simplen, fotogenen Glacepops. Während der vierstündigen Gefrierzeit will die Masse mehrmals gerührt sein, damit sie so geschmeidig endet, dass man sie auch ohne Einsatz von Maschine löffeln und nicht schneiden muss. Deshalb fällt die Glaceproduktion neuerdings auf den Morgen. Wer schlüpft nachts schon freiwillig aus dem warmen Bett, um im kalten Eisfach zu hantieren?
Und schon ist der Kleine seinem Traum ein gutes Stück näher: Er produziert nun schliesslich kurz nach dem Frühstück als Assistenzkoch seine Lieblingsspeise mit. Löffel abschlecken und Schüssel ausputzen, jajaja, gerne. Sagt er und grinst.
Manche hätten hier vielleicht lieber von Schokominzeis oder Lavendelhonigglace oder anderen elaborierten Sorten gelesen. Am Strand in Italien und mit einer Portion Nocciola in der Hand zeigt sich das Glaceglück oft nach wie vor sehr klassisch. Die über 60-jährige Rakete ist überaus verlässlich. Nur manchmal fordert Glace heraus. Etwa, wenn man zwei Kugeln Schokolade bestellt, aber vergessen hat, dass man ein weisses Kleid trägt. Und dann sind da eben noch abenteuerliche Geschmacksrichtungen. Trüffel und Schlumpf, muss das sein?
Braucht ein erfüllter Sommer heute mehr als die einfachen, beliebten Klassiker? Glace stellt auch im digitalen Zeitalter dasselbe mit uns an wie einst. Sie kühlt bei Hitze und wärmt bei Regen, nicht den Körper, aber das Herz. Glace lindert Bienenstiche und schlechte Tage. Glace verstärkt Schmetterlinge im Bauch. Hunderttausende von ersten Treffen verromantisiert sie noch immer. Der Coup Tête-à-Tête hat wohl auch deshalb bis heute und sogar Corona überlebt, jedenfalls dort, wo hipsterige Glacebuden noch nicht alle traditionellen Anbieter verdrängt haben. Glace ist schön anzusehen.
Da steht man vor der Vitrine und sieht sich an den Farben satt. Bunter als der Regenbogen! Kein Wunder zählt Instagram unter dem Hashtag icecreamlover 1,4 Millionen Einträge.
Dasitzen, Zeit haben, in den Tag träumen und in die Sonne blinzeln, die nackten Füsse auf dem warmen Boden oder im Wasser. Auch die idealen Rahmenbedingungen für Glaceschmaus sind noch die gleichen. Wie damals, als Vanille und Schokolade noch genügten zum kleinen grossen Glück. Zur Not liegen daheim trotzdem ein paar Magnum Double Gold im Gefrierfach.
Tipp 1: Wer keine Glaceformen hat, kann stattdessen Joghurtbecher verwenden.
Tipp 2: Aus verschiedenfarbigen Früchten Wasserglace zubereiten. Ein Drittel der Form zum Beispiel mit Erdbeerwasserglace füllen, gefrieren lassen. Nächstes Drittel mit Mangowasserglace füllen, gefrieren lassen. Letztes Drittel mit Heidelbeerwasserglace füllen, gefrieren lassen. Ergibt: Regenbogenglace.