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Region (LiZ)
Zürich
Flugzeugkatastrophen, menschliche Tragödien, aber auch viele beglückende Begegnungen hat Walter Meier als Seelsorger am Flughafen Zürich erlebt und in einem Buch zusammengefasst. Ende September wird der Pfarrer und ehemalige Flugbegleiter pensioniert.
«40 Jahre sind genug», sagt Walter Meier salopp. Nach vier Jahrzehnten im Dienst der reformierten Landeskirche, knapp die Hälfte davon als Seelsorger am Flughafen Zürich, geht er Ende September in den Ruhestand. «Als ich begann, war ich bedingt durch meine Militäruntauglichkeit der jüngste Pfarrer – inzwischen bin ich der dienstälteste.» Vorgezeichnet war der Karriereweg nicht, lag doch die Leitung der Poststelle in Winkel seit Generationen in Familienhand. «Ich hätte sie weiterführen sollen, doch ein Pfarrer der Jungen Kirche inspirierte mich zum Theologiestudium», erzählt der 64-Jährige. «Währenddessen liess ich mich zum Steward bei der Swissair ausbilden und wollte danach erst einmal ein paar Jahre fliegen.»
Doch die Kirche suchte damals dringend junge Pfarrer, so übernahm er 1976 seine erste Gemeinde in Dietlikon. Zurück in Winkel, kam Meier acht Jahre später bei seinen Antrittsbesuchen als Bülacher Gemeindepfarrer erneut mit dem fliegenden Personal in Kontakt. «Unregelmässige Arbeitszeiten, Nachtdienste, Zeitverschiebungen – es gab viele Gründe, am Sonntag nicht in die Kirche zu gehen», erzählt Meier. «Daraus entsprang die Idee, dass die Swissair einen Pfarrer am Arbeitsplatz braucht.»
Morgen Donnerstag übernimmt der bisherige Bülacher Pfarrer Stephan Pfenninger Schait die Nachfolge als Seelsorger am Flughafen Zürich. «Flughafen bedeutet für mich ein Stück Heimat», sagt der 40-Jährige, der mit seiner Frau und den vier Kindern zwischen vier und zehn Jahren in Kloten wohnt. «Ich komme aus der Region, meine Familie hat für die Swissair gearbeitet und ich selbst habe als Student für Swissport in der Bodenabfertigung gejobbt.» Während seiner Zeit in der Kirchgemeinde Kloten hatte er Gelegenheit, in den Arbeitsbereich des Flughafenpfarramts Einblick zu nehmen, zudem ist er seit neun Jahren Mitglied des Klotener Care-Teams. (mks)
Nach einem Wiedereinstiegskurs ging er als Teilzeitflugbegleiter in die Luft, um dem Airline-Personal als Seelsorger zu begegnen. «Unbezahlt, denn ich erhielt ja bereits 100 Prozent Pfarrerslohn.» Bei den oft tagelangen gemeinsamen Aufenthalten entspann sich mit der Crew so manches theologische Gespräch, zahlreiche Trauungen der fliegenden Kollegen durfte er begleiten.
Basierend auf diesen Erfahrungen baute er 1997 gemeinsam mit dem katholischen Kollegen Claudio Cimaschi die ökumenische Flughafenseelsorge auf. «Mit einjähriger Pilotphase», amüsiert sich Meier über den passenden Begriff. Zwar musste er aus dem Winkler Pfarrhaus ausziehen und nahm anfangs Gehaltseinbussen in Kauf – ob es überhaupt Flughafenpfarrer braucht, diese Frage stellte sich nicht. «Gleich an meinem ersten Tag ereignete sich ein tödlicher Arbeitsunfall auf dem Vorfeld. Ich konnte den verzweifelten Kollegen des Verunglückten in ihrer Trauer beistehen und in Absprache mit den Vorgesetzten einen Moment des Gedenkens an der Unfallstelle gestalten.»
22 berührende Begegnungen an seinem pulsierenden Arbeitsplatz hat Walter Meier 2013 in seinem Buch «Flughafengeschichten» niedergeschrieben. Menschliche Tragödien, Katastrophen wie die Flugzeugunglücke von Halifax, Bassersdorf und Überlingen, aber auch das Grounding der Swissair hat er hautnah miterlebt, Angehörige von Todesopfern betreut und zusammen mit Care-Teams seelische Ersthilfe geleistet. Zu den schönen Erfahrungen gehören für ihn nicht nur jene, die von Natur aus mit Freude verbunden sind, sondern auch manch trauriges Ereignis, das eine glückliche Wendung nahm.
«Der Fokus meiner Arbeit richtet sich auf die Menschen, die hier arbeiten», betont Meier, dessen «Gemeinde» rund 25 000 am Flughafen Beschäftigte umfasst. Dementsprechend sei oftmals auch längerfristige seelsorgerische Betreuung gefragt. Die Anliegen reichen von Krankheit bis Todesfall, von Beziehung bis Erziehung, aber auch Arbeitsplatzthemen wie Mobbing trägt man an ihn heran.
Mit Reisenden oder am Flughafen Gestrandeten ergeben sich notgedrungen oft nur flüchtige Begegnungen, ob bei der Krisenintervention oder im spontanen Gespräch – wie etwa mit dem tränengeschüttelten Geschäftsmann, der in der Viertelstunde vor dem Boarding seine Sorgen bei Meier abladen konnte. Die Religionszugehörigkeit spielt für ihn eine untergeordnete Rolle. «Als Pfarrer habe ich das Privileg, genügend Zeit zu haben für Menschen, die sich mir anvertrauen möchten. Wenn ich mir dies bewusst mache», sagt Walter Meier, «spüre ich tiefe Befriedigung.»
Am 30. September wird der Flughafenpfarrer feierlich verabschiedet. Der Zeit danach sieht er gelassen entgegen. Mit seiner Frau Diana, Theologin und Medizinerin, lebt er in Wil im Rafzerfeld, das Haus der vierfachen Grosseltern ist stets offen für Freunde und Familie. Mit einer Lebensberatung möchte Meier beruflich die Selbstständigkeit wagen. «Ich kann mir auch vorstellen, nichts mehr zu machen und mit Fitness und Nordic Walking auf die Gesundheit zu schauen.»