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Die Dietikerin Silvia Bren unterrichtet für die Interessengemeinschaft Pallas seit über 25 Jahren Frauen in Selbstverteidigung. Anlässlich der Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» führt sie diesen Samstag in Dietikon gratis Kurse durch. Im Interview erzählt die Kampfsportlerin, wie Frauen im Sport und im Alltag mit Übergriffen umgehen können und was sich in der Sportwelt verändern muss.
Silvia Bren: Auf jeden Fall. Es ist nötig, dass das Thema immer wieder präsent ist und öffentlich darüber diskutiert wird. Dadurch sinkt die Hemmschwelle für Betroffene, sich Hilfe zu holen. Ich freue mich, dass ich mich dieses Jahr erstmals mit gratis Selbstverteidigungskursen für Mädchen und Frauen an der 13. Ausgabe der Aktionstage «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» beteiligen kann. Als Präsidentin der Interessengemeinschaft (IG) Pallas fehlte mir bis anhin die Zeit dafür. Doch seit meinem Rücktritt Anfang Jahr habe ich mehr Luft für solche Herzensangelegenheiten. Das ist schön.
In der Schweiz hat man vielfach das Gefühl, in einer heilen Welt zu leben, auch was das Thema Gewalt angeht. Man kehrt es unter den Teppich oder will es zum Teil nicht wahrhaben. Es herrschen mancherorts noch immer autoritäre und hierarchische Strukturen vor allem in der Sportwelt. Das habe ich am eigenen Leib erlebt, als ich beispielsweise neue Ideen in männerdominierten Gremien einbringen wollte. Gegen diese und alle anderen Formen von Gewalt wehre ich mich. Dass Gewalt und Missbrauch nach wie vor ein Problem sind, haben nun auch die Magglingen-Protokolle, in denen Spitzenturnerinnen von ihren Demütigungen berichten, unterstrichen.
Es ist ähnlich wie bei der «Me too»-Bewegung: Es braucht Menschen, wie Ariella Käslin, die solche Themen publik machen, damit ein Wandel stattfindet. Und obwohl es nicht das erste Mal ist, dass solche Vorwürfe laut werden, hat mich die Nachricht erschüttert. Vor allem die Tatsache, dass so viel Zeit verstrichen ist, bis die Athletinnen die Missbräuche öffentlich machten. Dabei wäre schnelles Handeln in solchen Fällen angebracht.
Sportlerinnen, denen es möglich ist, sollten das Problem rasch ansprechen und den Trainern und Trainerinnen sagen, dass sie sich nicht wohl fühlen, bevor die Situation eskaliert. Wenn die Verantwortlichen nicht darauf eingehen, wäre es wichtig, sich bei anderen Anlaufstellen Gehör zu verschaffen. Den Verein, Verband oder den Klub zu verlassen, wäre eine andere Möglichkeit. Doch dadurch verändert sich strukturell nichts.
Es ist ein sehr mutiger Schritt, sich zu wehren. Nicht alle können das. Vor allem jüngeren Personen, aber auch Menschen mit Beeinträchtigung fällt das nicht leicht. Sie alle werden daher leider auch häufiger ausgebeutet. Von Vorteil ist, wenn man auf ein gutes Umfeld, Familie und Freunde zählen kann, die einem unterstützen. Essenziell ist, dass Menschen, die Gewalt erfahren, aus ihrer Opferrolle herausfinden.
Silvia Bren entdeckte als 15-Jährige den Kampfsport Ju-Jutsu für sich. Sie wurde Trainerin und diplomierte Ju-Jutsu-Lehrerin. Als Jugend- und Sportexpertin arbeitete sie unter anderem in der Fachkommission Judo/Ju-Jutsu des Bundesamts für Sport, dem Nationalen Sportzentrum in Magglingen sowie in diversen Verbänden. Seit über 25 Jahren unterrichtet sie für die Interessengemeinschaft Pallas Selbstverteidigung für Frauen und Mädchen. Sie war im Ausbildungskader tätig und wirkte sechs Jahre lang als Präsidentin der Organisation. Anfang 2020 trat Bren von ihrem Amt zurück. Sie engagiert sich als Referentin und Fachfrau gegen sexualisierte Gewalt und Ausbeutung unter anderem für das Sportamt des Kantons Zürich. Bren ist 62 Jahre alt und lebt in Dietikon. (sib)
Genau. Ich unterstütze sie, sich zu behaupten, für sich einzustehen und wenn das nicht geht, sich Hilfe zu holen. Ich leite Kursteilnehmende aber auch an, sich selbst zu hinterfragen, wieso sie etwa gemobbt, gedemütigt, ausgelacht oder angegriffen werden. Ich möchte sie dazu ermächtigen, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen.
Das kann man so sagen. Natürlich lernt man auch körperliche Techniken zur Verteidigung. Das stärkt das Selbstvertrauen und gibt Sicherheit und genau das ist wichtig, um sich gegen Gewalt und Übergriffe wehren zu können. Geschult wird aber eben auch die verbale Kommunikation, die Präsenz und die mentale Stärke. Dies tue ich zum Beispiel mit Rollenspielen, bei denen ich mit Frauen und Mädchen belastende Situationen nochmals durchmache. Mit Selbstverteidigung kann man Gewalt grundsätzlich nicht gänzlich verhindern, aber man kann zumindest lernen, mit ihr umzugehen.
Ich denke schon. Die aussergewöhnliche Situation gibt uns die Chance, Probleme anzupacken und zu lösen, die man zuvor wegen des hektischen Arbeits- und ausgebuchten Privatlebens immer vor sich hingeschoben hat. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um innerhalb der Familie aufzuräumen. Man hat mehr Zeit, sich zu besinnen. So findet man vielleicht auch heraus, warum man in gewissen Situationen gereizt, wütend, glücklich oder traurig ist. Genauso wichtig, finde ich es auch, Gewalt zu hinterfragen und deren Auslöser auszumachen.
Die 16 Aktionstage vom 25. November bis zum 10. Dezember finden bereits zum 13. Mal in der Schweiz statt. Sie werden von der feministischen Friedensorganisation cfd koordiniert und dieses Jahr von 100 Organisationen, Kirchen und Einzelpersonen getragen. Seit 1991 haben in über 187 Ländern bislang mehr als 5000 Organisationen die internationale Kampagne unterstützt. Sensibilisierung, Prävention und Hilfe für Betroffene stehen im Zentrum. Die Aktion beschäftigt sich jedes Jahr mit einer anderen Form geschlechtsspezifischer Gewalt. 2020 widmet sie sich dem Thema Mutterschaft und Gewalt. (sib)
Missverständnisse und Fehlkommunikation sind oftmals Auslöser von Gewalt. Unverständnis und Intoleranz fördern auch die Aggressivität. Menschen, die Gewalt ausüben, sind in diesem Moment vielfach, aber genauso hilflos und ohnmächtig wie ihre Opfer. Sie können sich nicht anders ausdrücken. Deshalb soll man nicht sie als Person, sondern nur ihre Taten verurteilen. Schliesslich, weiss niemand, welche Geschichte sie haben. Diese Haltung versuche ich auch meinen Schülerinnen zu vermitteln.
Ein respektvoller Umgang und Vertrauen sind das A und O. In diesem Sinne sind auch Eltern, Lehrpersonen, Trainerinnen und Trainer als Vorbilder wichtig. Dazu gehört, dass man sich weiterbildet und die Augen vor Neuem nicht verschliesst. Das ist manchmal unangenehm, denn es ist viel einfacher, jemandem den Mund zu verbieten, statt zu diskutieren und sich um einen Dialog zu bemühen.
Ich glaube nicht, dass es weniger Gewalt gibt, aber mir ist aufgefallen, dass Menschen, die Gewalt erleben, sich mehr Hilfe holen. Das hat wohl auch damit zu tun, dass mehr Anlauf- und Beratungsstellen als früher existieren. Auch das Bewusstsein ist gewachsen. Heutzutage wird eine Frau ernst genommen, wenn sie zur Polizei geht, um ihren Vergewaltiger anzuzeigen. Früher wurde man teilweise gedemütigt.
Ja. Wir leben in einer Zeit, in der veraltete Strukturen aufbrechen, sei dies hinsichtlich der Umwelt, der Ernährung oder des Geschlechts. Ein Umbruch ist auch beim Bundesamt für Sport und Swiss Olympics im Gange. Bereits vor den Magglingen-Protokollen führte man 2014 Präventionskonzepte und Leitlinien zur Verankerung der Prävention von sexuellen Übergriffen im Verein ein. Zudem werden auch die Ausbildungskonzepte überarbeitet und verändert. Module zu Gewaltprävention gehören neu zur Grundausbildung für Jugend- und Erwachsenen-Trainer am Nationalen Sportzentrum. Anlaufstellen für Trainer wurden ebenso geschaffen und solche für Athletinnen und Athleten sind geplant. Es wird jedoch seine Zeit brauchen, bis die Konzepte vom Bundesamt für Sport und von Magglingen in allen Verbänden und Vereinen im Land ankommen werden. Trotzdem bin ich der Meinung, dass man im Schweizer Sport diesbezüglich positiv in die Zukunft blicken kann.
Die kostenlosen Workshops werden mit Schutzkonzept im reformierten Kirchgemeindehaus in Dietikon heute Samstag, 28. November, durchgeführt. Für Frauen ab 16 Jahren von 9 bis 10.30 Uhr und für Mädchen unter 16 Jahren von 10.45 bis 12.15 Uhr.