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Leben
Der Nobelpreis in Chemie geht in diesem Jahr an die Gen-Forscherinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna. Die von ihnen entwickelte Gen-Schere Crispr-Cas9 gehört zu den großen Hoffnungsträgern der Medizin. Sie bietet aber auch ein enormes Missbrauchspotential.
Eigentlich ist es nicht wirklich eine Überraschung. Schon 2013 zählte das renommierte Magazin «Science» Crispr-Cas9 zu den Top Ten der wissenschaftlichen Leistungen, und 2015 kürte das «Time Magazine» die beiden Forscherinnen Charpentier und Doudna zu den weltweit einflussreichsten Persönlichkeiten überhaupt. Und doch ist dieser Preis aussergewöhnlich.
Wie schon in der Physik, so sind auch in der Spartew Chemie, weibliche Preisträgerinnen noch immer dir grosse Ausnahme. Sie stellen dort gerade einmal fünf Preisträgerinnen, was bei einem Männeranteil von knapp 180 nicht einmal drei Prozent ausmacht.
Die berühmteste von ihnen war Marie Curie, und jetzt sind es mit Charpentier und Doudna zwei Frauen, deren Entdeckung ähnlich revolutionäre Folgen für die Menschheit haben dürfte wie das Radium, das dereinst von der polnisch-französischen Wissenschafterin entdeckt wurde.
Und wie bei Curie, so verlief auch das Leben der beiden neuen Preisträgerinnen turbulent. Die 1968 im nordfranzösischen Juvisy-sur-Orge geborene Charpentier beschreibt ihr Leben gerne als «Immer auf dem Sprung», weil sie als «Wissenschafts-Nomadin» ständig von einer Arbeitsstelle zur nächsten wechselt und oft nicht einmal dazu kommt, ihre Umzugskartons auszupacken.
Die Mikrobiologin arbeitete schon in Paris, New York, Memphis, Wien, Umeå in Schweden, Hannover und Braunschweig. Seit 2018 forscht sie in Berlin, an der Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene (Krankheitserreger). Mit dem Nobelpreis dürfte sie eher kühl umgehen, denn zu ihren Lebensmaximen gehört:
Ich konzentriere mich auf sachliche Information, das Hahnengeschrei liegt mir nicht
Jennifer Doudna wurde 1964 in Washington geboren, verbrachte aber ihre Kindheit in Hawaii. Die dortige Fauna und Flora weckten schon früh ihr Interesse für Biologie, und als sie im Alter von zwölf Jahren das Buch «Die Doppelhelix» von James Watson las, war es um sie geschehen: Die Genetik wurde zu ihrem Steckenpferd.
Allerdings musste auch sie oft ihre Hochschulen und Forschungsstätten wechseln, bevor sie Leiterin eines eigenen Labors in Berkeley wurde. Auf einer ihrer Etappen verliebte sie sich in einen ihrer Studenten, der schließlich auch ihr Ehemann werden sollte. Die beiden wurden 2002 Eltern eines Sohnes, den Doudna gerne als «das größte Experiment» ihres Lebens bezeichnet.
Für die Weltöffentlichkeit interessanter sind freilich all ihre Experimente rundum um das Crispr-Cas9-Verfahren. Hinter diesem Kürzel verbirgt sich ein System, das ursprünglich in Bakterien entdeckt wurde. Die Mikroben benutzen es zum Erkennen und Zerstören von feindlichen Viren, und man stellt es sich am besten wie eine Schere vor, die von einer sicheren Hand geführt wird. Mit den Crispr-Molekülen als Hand und den Cas9-Proteinen als Schere, die schließlich ein Stück aus dem Virus-Erbgut herausschneidet.
Vor knapp zehn Jahren entdeckten nun Doudna und Charpentier, dass dieses System auch in Menschen, Tieren und Pflanzen funktioniert. Wenn man also in deren Zellen die CRISPR/Cas9-Scheren (man kann sie im Labor herstellen) implantiert, können sie dort gezielt ein Stück Erbgut entfernen und stattdessen etwas hineinsetzen, das sich in einem kleinen, aber entscheidendem Punkt von dem entfernten Stück unterscheidet.
Das eröffnet nicht nur neue Möglichkeiten für die Pflanzenzucht, sondern könne auch, so das Nobelpreis-Komitee in seiner Würdigung, «zu innovativen Krebstherapien beitragen und den Traum von der Heilung vererbter Krankheiten wahr werden lassen.»
Mittlerweile laufen weltweit mehr als ein Dutzend klinische Versuche zu Crspr-Cas9, das, wie Rolf Zeller vom Departement Biomedizin der Universität Basel betont, «gegenüber klassischen transgenen Methoden den Vorteil hat, dass keine artfremde DNA ins Genom eingebaut wird». Wie bei anderen Verfahren gelte es jedoch auch hierbei, den Nutzen mit dem Risiko aufzuwiegen.
Im November 2018 überraschte der chinesische Gentechnologe Jiankui He auf einem Kongress mit der Mitteilung, dass «zwei wunderschöne kleine chinesische Mädchen namens Lulu und Nana» zur Welt gekommen seien, deren Erbgut er zuvor per CRISPR/cas9 verändert hatte, um sie resistent gegen HIV zu machen.
Doch in der Fachwelt erntete er dafür nicht etwa Lob, sondern Entrüstung. Auch Emmanuelle Charpentier stellte sofort klar, dass bei diesem Eingriff in die menschliche Keimbahn «eine rote Linie» überschritten wurde, insofern niemand dessen Risiken für die Mädchen abschätzen könne.
Noch energischer waren freilich die Reaktionen in China. Jiankui He tauchte nach seinem denkwürdigen Auftritt nicht mehr öffentlich auf. Im Dezember letzten Jahres gab eine chinesische Nachrichtenagentur bekannt, dass man ihn zu drei Jahren Gefängnis verurteilt habe. Davon wird er im Dezember, wenn Charpentier und Doudna offiziell ihren Preis entgegennehmen, etwa ein Drittel abgesessen haben.