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Leben
Es muss nicht immer Schnee sein. Wunderschön ist es auch, wo die Landschaft ein eisiges Gewand trägt. Im Folgenden stellen wir drei alternative Wintersportaktivitäten vor.
Inhaltsverzeichnis
Man kann eine Eiswand erklettern. Allerdings braucht’s dazu eine Art Mordwaffe.
Das Ziel sei, heute Abend hier unten «es Käfeli z näh», ohne dass einer verletzt sei, sagt der Adelbodner Bergführer Martin Maurer. Er zeigt uns ein Foto eines grossen Eisfalls in Kandersteg und fügt an, der Erstbesteiger sei leider später gestorben. Im Winter drohen bei Wasserfällen Eisschlag und Lawinen. Und doch kämpfen sich Leute hinauf.
Es ist die Hardcore-Sportart der Alpinisten
, sagt Maurer, «es ist faszinierend, dort zu klettern, wo es eigentlich nicht geht.»
Zum Glück haben wir nur einen Einsteigerkurs gebucht in sichererem Übungsgelände. Wir fahren mit der Gondel auf die Engstligenalp bei Adelboden. Gleich unter der Bergstation ist ein öffentlicher Eisklettergarten eingerichtet: Vom Stausee wird Wasser abgezweigt und spritzt von November bis im Frühling über die Felsen hinunter. Eingerichtet wird dies von der Alpinschule Adelboden, das Wasser stellen die Bergbahnen Engstligenalp zur Verfügung. Es muss ständig fliessen, damit es in den Leitungen nicht gefriert.
Zuoberst ist eine liegende Stange verankert, an die man die Seile hängen kann. Im Kletterjargon heisst das «top rope», wer fällt, hängt sofort im Seil und wird nicht erst aufgefangen, wenn er am nächsten eingehängten Hacken vorbeigesegelt ist. Im Unterschied zur Felskletterei, wo meist fixe Hacken gebohrt sind, müsste man sie im Eisfall selber mühsam einhändig mit einer Schraube eindrehen. Denn fix bleibt am Eisfall nichts: Wie im Gletscher fliesst auch hier das Eis langsam abwärts. Ist es kalt, wird es spröde, ist es warm, können sich Stücke lösen. Gefährlich ist vor allem der Temperaturwechsel von warm zu kalt, wenn sich das Eis zusammenzieht.
Doch es ist warm, zu warm für den Januar eigentlich. Heute ist das gut für uns. Drei Frauen und zwei Männer ziehen den Klettergurt an und schnallen Steigeisen an die Bergschuhe. Mütze, Helm, Handschuhe, runter geht’s ins Schattenloch. Wir üben das Gehen mit Zacken an den Füssen und nehmen dann die Steileispickel. «Auch eine Mordwaffe», scherzt Maurer.
Die Vorstellung ist brachial, sich damit die Wand hinaufzuschlagen, aber wir merken: Es braucht auch viel Gespür. Die schwache Hand federt mit dem Pickel ein ums andere Mal zurück, ohne Halt gefunden zu haben. Vor dem ersten richtigen Angriff stärken wir uns mit einem Picknick an der Sonne. Wer noch hat, zieht die letzten Schichten an. Eine Kinderchirurgin ist dabei, eine Notfallpflegefachfrau, ein Hörgeräte-Marketingleiter. Alle wollten mal etwas ganz anderes lernen. Unser Bergführer ist der perfekte Instruktor dafür, geduldig, wachsam. Manchmal können die Hände den Pickelgriff kaum noch halten, und man denkt, man falle ins Seil, dann geht es doch noch ein Stück weiter. Wer es bis oben schafft, wird von der Sprinkleranlage getauft. Wir keuchen, weichen splitterndem Eis aus.
Am Ende finden wir: Wir hatten es uns schwieriger vorgestellt. Die Kinderchirurgin sagt, sie habe nicht geglaubt, es hinaufzuschaffen. Ihr Mann, dem sie den Kurs geschenkt hat, ist begeistert, und auch der Marketingleiter hat glänzende Augen. Die Notfall-Pflegefachfrau gesteht, dass sie eigentlich nicht schwindelfrei sei, und findet: «Wir haben der Schwerkraft getrotzt.»
Der Kurs wurde ermöglicht durch die Alpinschule Adelboden. Angebote auch in Grindelwald, vielenorts in Graubünden (künstlicher Eisfall in Pontresina) und im Muotatal.
Sabine Kuster
Nur frierend warten? Von wegen! Eisfischen bringt einen auch zum Schwitzen.
Bahnchefin Iwona schiebt die Sicherheitstür zu, drückt auf den Startknopf und sagt: «Um 17 Uhr bin ich wieder da, dann müsst ihr oben an der Station bereitstehen.» Und schon entschweben wir mit der Mettmen-Luftseilbahn von Kies hinauf zum Garichtisee – in eine andere Welt. Vor uns liegt der Glarner Stausee, im Gebiet Freiberg Kärpf, dem ältesten, über 450 Jahre alten Wildschutzgebiet Europas.
Dick vermummt stapfen wir durch den Schnee, bis uns Sonnenschein empfängt. Damit hatten wir nicht gerechnet und uns mit Skihosen, Thermounterwäsche und dicken Handschuhen eingekleidet. «Wartet nur, bis die Sonne weg ist, dann wird es bitterkalt», versichert Florian Kundert. Der passionierte Fischer ist vollbepackt mit Schlitten, Bohrer und Fischerruten.
Es ist kurz nach Mittag. Ob die Eisfläche genug dick ist, haben wir uns zuvor noch gefragt. «Alles kein Problem», meint Kundert lachend und weist auf die zwei Fischer hin, die seit dem frühen Morgen ihr Glück beim Eisfischen versuchen. Der Sport ist seit einigen Jahren auf diversen Schweizer Seen möglich und sehr populär. Das Eisfischen ist sozusagen die Multiplizierung des normalen Fischens. Denn auf Eis fischt man ins Blinde. «Du kannst nicht wissen, wo sich die Fische gerade befinden», erklärt der Sportanlagenfachmann und Präsident des kantonalen Fischereiverbandes. Ausser man kennt den See, wie Kundert, und weiss, wie der Untergrund beschaffen ist und wo sich die Fische gerne verstecken.
Im Winter sind sie träge und reagieren nur, wenn man ihnen die Made direkt vor die Nase hängt.
Dafür komme man an Plätze, die man im Sommer vom Land aus nicht befischen könne.
Mit einem knirschenden Geräusch bohrt er ein suppentellergrosses Loch. Gut zwanzig Zentimeter ist das Eis dick. Mit der Schöpfkelle befreit er es von den Eisflocken und hängt seine Felchenrute hinein. Nun bin ich an der Reihe und komme mächtig ins Schwitzen, bis das Loch endlich gebohrt ist. Schon nach einer Minute zupft es an der Rute meiner Begleitung. Er springt los – doch zu spät. Die Made ist weg. Und der Fisch auch.
Alle paar Meter drehen wir ein neues Loch. Dazwischen heisst es: warten. Zeit, um die wunderbare Bergwelt zu bestaunen. «Es ist die Ruhe, die mich am Eisfischen fasziniert. Am schönsten ist es frühmorgens, wenn ich ganz allein bin», erzählt Kundert, der den Garichtisee in- und auswendig kennt.
Schon eine Stunde später verschwindet die Sonne auf dem schneebedeckten See, und die Kälte kriecht durch alle Kleiderschichten. Dann endlich, gerade als Kundert in sein Sandwich beisst, zuckt die Rute, die er in den Schnee gestellt hat. Er springt zum Loch und rollt behände den Silch ein. Gleichzeitig zuckt es auch im nächsten Loch. Beide Fischer ziehen kräftig – Kunderts Rute bricht, aber er zieht eine prächtige Regenbogenforelle aus dem Wasser. Und kurze Zeit später noch eine. Auch die Begleitung wird noch eine Seeforelle herausziehen. Nur ich gehe leer aus. Dafür bin ich um ein Abenteuer reicher.
Informationen und eine Liste der Seen, wo man Eisfischen kann, gibt es unter: www.icefishing.ch
Silvia Schaub
Auf dem Eisweg in Surava GR lässt sich auf Schlittschuhen durch den Wald kurven. Auch ohne Grazie.
Der Weg fällt sachte ab. Normalerweise würde man diese Neigung im Gelände nicht beachten. Doch mit Kufen an den Füssen ist nichts normal. Jede kleine Unebenheit, jede kleine Veränderung im Gefälle: Sie können den aufrechten Gang jäh beenden. Eben erst aus dem Shuttlebus geklettert, der uns vom Bündner Dorf Surava in den Nachbarort Alvaneu gebracht hat, stehen wir etwas ratlos vor dem drei Kilometer langen Eisweg. Darauf sollen wir also mit Schlittschuhen zurück nach Surava kurven.
«Das Eis ist super, denkt nicht zu viel nach», ruft ein Mann, Typ Hockeyaner, und fährt mit Anlauf in die leicht abschüssige Passage rein. Die englischen Touristinnen seufzen ein «Oh my God» und staksen zum nächsten Baum, um sich an ihm festzuhalten. Sie brauche im Job ihre Arme und Beine, sagt eine deutsche Serviceangestellte und bewältigt den ersten Abschnitt mit Minigefälle neben dem Eis. Im Schnee, stapfend. Ich folge ihr. Denn bereits auf den ersten paar Metern des pickelharten Weiss wird klar: Das mühelose Gleiten übers Eisfeld bleibt wohl eine Jugenderinnerung.
Doch das ist egal. Der Eisweg ist auch ungelenk ein Erlebnis. Das Eis schimmert bläulich, es knirscht unter den Füssen und lässt einen immer schneller in den Tannenwald schlittern. Betörend schön sind die Passagen entlang des gurgelnden Bachs. Breitbeinig und fern von jeder Grazie schiessen wir nun selbst abschüssige Passagen hinunter. Immer mutiger, immer glücklicher, immer lockerer. Banden, die rasante Fahrten einigermassen kontrolliert stoppen, gibt es in der Natur nicht. Wie bremst man eigentlich mit diesen Metallstücken an den Füssen? Als die Frage auftaucht, fliegen die Baumstämme bereits links und rechts vorbei. Zu spät. Statt elegant in die Kurve zu biegen, steuern die Kufen geradeaus. Die Bauchlandung ist krachend, doch dank dem Schneefeld schmerzfrei.
Unfälle auf dem Eisweg gäbe es nur ganz selten, sagt Giorgio Bossi, Präsident des Vereins Skateline Albula. Ein Helm ist obligatorisch; auch Ellbogen-, Knie- und Handgelenkschoner können gemietet werden. Bossi war es, der 2002 die Idee hatte, den Wanderweg zwischen Albula und seiner Heimatgemeinde Surava im Winter zu vereisen. Seither präpariert sein Team zwischen Dezember und Anfang März den Weg. Abend für Abend wischt es Reif weg und bespritzt das Eis mit frischem Wasser.
Aus der ganzen Schweiz reisen Gäste an, um fernab der touristischen Zentren den Winter von einer besonderen Seite zu entdecken. In Surava, dem kleinen Dorf im Schattenloch des Albulatals, stehen sie zuweilen Schlange, um in einen der Shuttlebusse der Skatline zu steigen. Ein Besuch empfiehlt sich daher unter der Woche. Oder abends. Ausgerüstet mit einer Stirnlampe lässt sich der Eisweg auch in der Dunkelheit erkunden.
Je nach Wetterbedingungen hat die Skateline Albula noch bis Ende Februar oder Anfang März geöffnet. Infos unter: www.skateline.ch
Annika Bangerter