Für ihre Entdeckung der Rezeptoren für Temperatur und Berührung im Körper haben die beiden Wissenschaftler David Julius und Ardem Patapoutian den Medizin-Nobelpreis erhalten. Sehr verdient, sagt Hanns Zeilhofer von der Universität Zürich.
Als vor drei Wochen die ungarisch-amerikanische Wissenschafterin Katalin Karikó in Bern die Reichstein Medaille 2021 der Schweizerischen Akademie der Pharmazeutischen Wissenschaften erhalten hat, sagte der Laudator, dieser Ehrung könnte bald noch eine grössere folgen: der Nobelpreis für Medizin. Karikó forscht seit gut 20 Jahren an mRNA. Doch Karikó ging gestern in Stockholm ebenso leer aus, wie andere, welche im letzten Jahr ein Gegenmittel gegen die Pandemie entwickelt haben.
Den Nobelpreis gab es für Arbeiten zum Schmerz- und Temperaturempfinden. Patrick Enfors vom Nobelpreis-Komitee zeigte das Bild eines Mannes, der die heisse Kaffeetasse genau dort hält, wo er sich die Finger nicht verbrennt. Dafür braucht es Rezeptoren und Sensoren, die auf Hitze und Druck reagieren und Signale über unsere Nerven ins Gehirn leiten. «Die Möglichkeit, Hitze und mechanischen Druck zu spüren, ist lebenswichtig und verhindert, dass man sich verbrennt oder nicht weiss, wann man auf die Toilette muss», sagte Thomas Perlmann vom Nobelpreis-Komitee.
Bis jetzt habe man nicht genau gewusst, wie die Nervenzellen Hitze und Berührung aufnähmen. Jetzt weiss man das dank dem 65-jährigen David Julius von der University of California und dem 54-jährigen libanesisch-amerikanischen Neurowissenschafter Ardem Patapoutian vom La Jolla-Institut in Kalifornien. Patapoutian entdeckte Sensoren, die auf mechanische Reize in der Haut und auch in den inneren Organen reagieren, zum Beispiel in der Harnblase. David Julius nutzte für seine Arbeit Capsaicin, eine scharfe Verbindung aus Chilischoten, die ein brennendes Gefühl hervorruft, um einen Sensor in den Nervenenden der Haut zu identifizieren, der auf Hitze reagiert. «Mit beiden Arbeiten wurde ein Geheimnis der Natur entschlüsselt», sagte das Nobelpreis-Komitee.
Doch ist das mehr als Grundlagenforschung? Die Frage geht an Professor Hanns Ulrich Zeilhofer vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie an der Universität Zürich. «Vor allem die Entdeckung von Patapoutian ist im Moment noch auf der Stufe Grundlagenforschung. Aber die Identifikation solcher Mechanismen, in dem Fall waren es Rezeptoren und Ionenkanäle, können helfen, in Zukunft Medikamente zu entwickeln», sagt das Vorstandsmitglied der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Noch gibt es kein Medikament, das diese Rezeptoren blockieren würde. Aber die Identifizierung eines Sensors ist ein erster Schritt, um nach Substanzen zu suchen, die solche Rezeptoren beeinflussen können.
Die von Julius entdeckten Rezeptoren namens TRPV1, die für die Wahrnehmung von schmerzhafter Hitze verantwortlich sind, spielen eine grosse Rolle bei entzündungsbedingten Schmerzsensibilisierungen, wie Zeilhofer erklärt. Also zum Beispiel bei Entzündungsschmerzen in Folge von rheumatoider Arthritis, anderen Gelenksentzündungen oder bei postoperativen Schmerzen.
Entdeckt hat das Julius bereits Ende der 1990er-Jahre. Mit Folgen wie Zeilhofer sagt:
«Darauf haben viele Firmen begonnen, nach Molekülen zu suchen, welche diesen Rezeptor hemmen oder aktivieren können.»
Naheliegend ist die Blockierung des Rezeptors, weil das schmerzhemmend sein sollte. «Dann sind tatsächlich solche Substanzen entwickelt worden. Aber bis jetzt hat keine dieser blockierenden Substanzen den Weg in die Arzneimitteltherapie gefunden», sagt Zeilhofer. Herausgefunden hat man aber, dass man Schmerzfasern unempfindlich machen kann, wenn man den Hitzerezeptor mit Capsaicin überaktiviert. Das wird heute in Capsaicin-haltigen Pflastern verwendet, die Schmerzrezeptoren in der Haut über Wochen unempfindlich machen.
Bei den von Patapoutians identifizierten Mechano-Rezeptoren, also Berührungssensoren, ist es noch nicht so weit. Dessen Entdeckung ist aber auch jünger als jene von Julius. Noch könne man nicht genau sagen, für welche Erkrankungen die Blockade der Berührungs-Rezeptoren einen Nutzen bringen könnte, erklärt Zeilhofer. «Diese Rezeptoren spielen wahrscheinlich eine Rolle bei Patienten mit neuropathischen Schmerzen, die extrem berührungsempfindlich sind.» Auch in inneren Organen etwa der Harnblase wurden diese Rezeptoren entdeckt. Die Forschung stehe noch am Anfang.
Den Nobelpreis für die beiden Forscher hält Zeilhofer für absolut angemessen. «Die beiden haben fundamental neue Entdeckungen gemacht, Dinge entdeckt, von denen man vorher nichts wusste und nur rätseln konnte, wie diese Prozesse tatsächlich ablaufen.» Diese Entdeckungen würden in Zukunft sehr wahrscheinlich auch eine grosse Bedeutung für die Therapie von Erkrankungen haben.
Auch die mRNA-Impfstoff-Entwicklung, die schon vor der Corona-Pandemie begonnen habe, könnte irgendwann mit einem Nobelpreis gewürdigt werden. Solche Durchbrüche würden oft erst Jahre später ausgezeichnet.