Reinigungskräfte
Sie machen die Schweiz sauber: Ein neues Buch porträtiert elf stille Schafferinnen und Schaffer

Wer sind all die 200'000 Menschen, die täglich auf der Strasse, in Fabriken, Büros und Wohnungen unseren Dreck wegputzen? Ein neues Buch porträtiert elf dieser stillen Schafferinnen und Schaffer, die oft unter prekären Bedingungen leben.

Karsten Redmann
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Seit Rosa vor mehr als 45 Jahren in die Schweiz kam, putzt sie.

Seit Rosa vor mehr als 45 Jahren in die Schweiz kam, putzt sie.

Bild: Marc Bachmann

Sie arbeiten, wenn niemand sie sieht, oft abends oder nachts, nicht selten schwarz und illegal halten sie unser Land sauber. Allein in der Deutschschweiz arbeiten rund 70'000 Arbeitskräfte in Reinigungsfirmen, von denen – laut Arbeitgeberverband Allpura – mehr als 90 Prozent einen Migrationshintergrund haben. Die sprichwörtlich blitzblanke Schweiz, sie wird mehrheitlich von Migrantinnen und Migranten geputzt. Im ganzen Land sind es 200'000 Menschen, die mit Putzen ihren Lebensunterhalt verdienen. Und es werden stetig mehr, denn in der Schweiz beschäftigt bereits jede siebte Person eine Reinigungskraft.

Viele Anstellungen im privaten Bereich sind aber illegal. Die Arbeitskräfte haben in den meisten Fällen auch keine Rechte, müssen ohne Sozialabgaben leben. Selbst bei Krankheit gibt es keine Lohnfortzahlung. Und je tiefer die Spezialisierung und damit der Lohn, desto höher der Anteil ausländischer Beschäftigter. Nach Geschlechtern unterteilt meint das: je kleiner der Lohn, desto grösser der Frauenanteil.

Als Kindergärtnerin gekommen, Putzfrau geworden

Eine dieser Frauen ist Rosa. 1974 kam die damals 18-Jährige von Süditalien nach Zürich. Im Gepäck hatte sie ein Kindergärtnerinnendiplom, welches die Schweiz aber nicht anerkannte. Rosa wollte unbedingt arbeiten, fand schnell eine Putzkraftstelle, arbeitete im italienischen Konsulat, für die Stadt Zürich, und wurde nach einer ersten Privatisierungswelle entlassen. Traumatische Erfahrungen musste sie dann als Reinigungskraft an der Zürcher Goldküste machen. Minderwertig habe sie sich damals gefühlt. Es wurde ihr immer nur befohlen. Wenn sie zu spät zur Arbeit kam, wurde sie angeschrien. «Alle Kolleginnen sagten mir, reiche Schweizerinnen behandelten das Personal immer so schlecht – wechseln würde also gar nichts bringen.» Also blieb sie, acht lange Jahre. «Damals war die Schweiz nicht so gut zu uns», meint die mittlerweile 65-Jährige. «Heute sind wir die Guten, jetzt werden die Geflüchteten von weiter weg so behandelt wie früher wir Italienerinnen. Ich fühle sehr mit ihnen.»

Fotografie aus dem Buch – «Wer putzt die Schweiz?»

Fotografie aus dem Buch – «Wer putzt die Schweiz?»

Bild: Marc Bachmann / Aargauer Zeitung

Rosa hat ihre Geschichte Marianne Pletscher erzählt, bei der sie seit 20 Jahren als Reinigungshilfe arbeitet. Die Zürcher Dokumentarfilmerin und Autorin hat mit weiteren Putzkräften lange Gespräche geführt und diesen stillen Schafferinnen und Schaffern ein Buch gewidmet.

Starke Fotos, berührende Schicksale

Herausgekommen ist ein über 250 Seiten starkes Werk, angereichert mit 131 farbigen Fotografien von Marc Bachmann. Pletscher schildert darin das Leben von sieben Frauen und vier Männern. Alle elf haben einen Migrationshintergrund, kommen aus den unterschiedlichsten Gegenden der Welt: unter anderem aus Somalia, Eritrea, dem Kosovo, Lateinamerika, Portugal, Sri Lanka. Dass die Geschichten nicht repräsentativ sein können, war der Autorin von Anfang an klar. Dennoch habe sie angestrebt, «dass mindestens die wichtigsten Gruppen aus Ländern der Arbeitsmigration in die Schweiz vertreten sein sollten und natürlich auch die grössten Gruppen von Geflüchteten.»

Rechtsanwalt Marc Spescha, Experte in Sachen Migrationsrecht, schreibt im Vorwort: «Leserinnen und Leser erhalten Einblick in Seelenlagen und individuelle Schicksale von Menschen, denen die Gnade des privilegierten Geburtsortes nicht zuteilwurde.» Genau hier setzt das Buch an: Denn letztlich geht es in den Geschichten neben den individuellen Perspektiven immer auch um den Fakt der ungleich verteilten Ressourcen und Chancen in der Welt.

Was den konkreten Lohn in der Reinigungsbranche, die ja bekanntlich eine Tieflohnbranche ist, angeht, gehen Vorstellung und Wirklichkeit selbst in Unternehmen mit Gesamtarbeitsvertrag (GAV) deutlich auseinander: «Bei rund 58 Prozent», schreibt Pletscher, «wurden Verstösse gegen Lohnbestimmungen festgestellt. Im Vergleich zu anderen Branchen eine extrem hohe Zahl.»

Der Eritreaer Habtemariam will das Putzen lernen, um sich eine Existenz aufbauen zu können. .

Der Eritreaer Habtemariam will das Putzen lernen, um sich eine Existenz aufbauen zu können. .

Bilder: Marc Bachmann

Mit Putzen das Überleben sichern

Einer der Männer, die Pletscher porträtiert, ist Habtemariam, ein aus Eritrea stammender ehemaliger Bauer. Die Autorin lernte den 32-jährigen Teilzeit-Priester bei einem Reinigungskurs einer Asylorganisation kennen. Hauptgrund seiner Flucht in die Schweiz war eine bevorstehende zwangsweise Verpflichtung zum Militär. Im Porträt berichtet Pletscher einfühlsam von seinem Überlebenswillen und der Hoffnung, später in der Gebäudereinigung zu arbeiten. Im Durchschnitt fanden bisher rund sechzig Prozent der Teilnehmenden des Reinigungskurses eine Stelle. Man wünscht es auch Habtemariam.

Marianne Pletscher: Wer putzt die Schweiz? Migrationsgeschichten mit Stolz und Sprühwischer, 256 S., Limmat-Verlag, 2022, Fr. 38.–.