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Ob China, Italien oder Spanien: Um die Ausbreitung des Coronavirus zu bremsen, nebeln die Behörden ganze Strassenzüge mit Desinfektionsmittel ein. Der Nutzen ist fraglich.
Im Kampf gegen das Coronavirus kennen manche Staaten kein Pardon. In China waren sie schon vor Wochen zu beobachten: Menschen in weissen Schutzanzügen, die ganze Strassenzüge, Hauswände oder Laternen mit Desinfektionsmitteln einnebeln. Bald kamen ähnliche Bilder aus Südkorea. Auf Mallorca fahren die Stadtwerke mit Spritzfahrzeugen auf, um die Strasse mit Wasser und einer speziellen Lauge zu desinfizieren. «Damit sollen mögliche Coronaviren entfernt werden», teilten die lokalen Behörden mit. Gleich gehen italienische Gemeinden vor. Und die thailändische Regierung schickt nun sogar Soldaten los, um die Strassen der Hauptstadt Bangkok zu desinfizieren.
Da wird entkeimt, und zwar sehr genau und sorgfältig. Dieses Gefühl entsteht angesichts der Bilder aus aller Welt. Bloss: Sind die Desinfektionsaktionen nur Spektakel oder bringen sie auch etwas? Die zuständigen Behörden in der Schweiz haben da eine klare Haltung. «So etwas mag auf Fernsehbildern gut ankommen, aber der Nutzen ist sehr gering», sagt Patrick Mathys vom Bundesamt für Gesundheit:
Die wenigsten Leute fegen schliesslich mit ihrem Gesicht über die Strasse.
Tatsächlich betonen auch Wissenschafter: Die flächendeckende Desinfektion des öffentlichen Raums leistet keinen wesentlichen Beitrag, um die Verbreitung des Coronavirus zu bremsen. Er bezweifle, ob solche Massnahmen sinnvoll und nicht nur Show sind, erklärt Markus Egert, Professor für Mikrobiologe an der deutschen Hochschule Furtwangen. «Das Desinfizieren von Innenräumen, Zügen oder Flugzeugen mag noch sinnvoll sein», so der Hygiene-Experte. «Aber das von öffentlichen Plätzen, Strassen oder Autos von aussen sicher nicht.»
Zwar ist eine Ansteckung über kontaminierte Oberflächen grundsätzlich möglich. Und im Labor konnten Forscher nachweisen, dass der Erreger auf manchen Oberflächen auch noch nach Stunden oder Tagen auffindbar ist. Allerdings ist dieser Zeitraum in der Natur laut Egert sicherlich kürzer. «Das Risiko, sich durch Oberflächen draussen anzustecken, ist sehr gering.» In erster Linie sind es Menschen, die den Erreger übertragen – über die Luft. Das Virus ist an Tröpfchen gebunden, die beim Niesen, Husten oder Sprechen in die Umgebungsluft gelangen.
Kommt hinzu: Werden Desinfektionsmittel massenhaft versprüht, kann dies wiederum gesundheitliche Folgen nach sich ziehen. Die Substanzen können Atemwege und Haut schädigen. Zudem fehlen die Mittel dann an Orten wie Spitälern, wo sie wirklich benötigt würden. «Ich bin nicht sicher, womit da desinfiziert wird», sagt Egert mit Blick auf Staaten wie China oder Spanien. «Falls es echte Oberflächendesinfektionsmittel sind, wäre das in Zeiten knapper Desinfektionsmittel eine echte Verschwendung.» Falls nur Seifenlösungen verwendet würden – was ebenfalls völlig ausreiche –, wäre dies noch okay und eher als Reinigung zu verstehen.
Statt flächendeckende Massnahmen empfehlen Fachleute, Griffflächen wie Türklinken, Liftknöpfe oder Haltestangen in Bussen gezielt und regelmässig zu reinigen. Immer wieder verweisen Virologen auf die grundsätzlichen Verhaltensempfehlungen: In die Armbeuge niesen, Abstandhalten zu anderen Menschen und soziale Kontakte wenn möglich vermeiden. Ebenso wichtig ist die persönliche Hygiene. Seine Hände sollte man regelmässig und mindestens 20 Sekunden lang mit Seife waschen und dann gründlich abtrocknen.
Bleibt die Frage, warum mancherorts trotzdem grosszügig Strassen desinfiziert werden. Die Erklärung dürfte wohl vor allem in der psychologischen Wirkung liegen, die das Bild von Desinfektions-Spezialisten auf öffentlichen Plätzen entfaltet. In Südkorea etwa erklärten die Behörden freimütig, man wolle mit den Massnahmen den Bürgern helfen, sich sicherer zu fühlen. «Seht her, wir handeln», lautet die Botschaft.