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Leben
Schwarze Löcher überforderten selbst Einsteins. Doch sie existieren tatsächlich, und eines von ihnen steckt mitten in der Milchstrasse. Um das zu beweisen, brauchte es schlaue Köpfe und ein Observatorium, das James-Bond-Fans bestens bekannt ist.
Angenommen, die Erde würde zusammengepresst, bis sie nicht mehr grösser als eine Erbse ist – dann wäre dieses Objekt unvorstellbar dicht. Die Anziehungskraft dieser komprimierten Erde wäre so gross, dass sie nichts mehr losliesse. Selbst ein Lichtstrahl hätte keine Chance, nach aussen zu dringen. Wir könnten dieses Objekt deshalb weder sehen noch hören – es wäre ein schwarzes Loch.
«Beim diesjährigen Preis geht es um die dunkelsten Geheimnisse des Universums», hiess es am Dienstag bei der Bekanntgabe der Physiknobelpreise. Denn was in einem schwarzen Loch passiert, übersteigt die menschliche Vorstellungskraft. Das gestehen selbst ziemlich schlaue Köpfe ein.
So die US-Amerikanerin Andrea Ghez, der heute Dienstag vom Nobelkomitee in Stockholm zusammen mit dem Deutschen Reinhard Genzel und dem Briten Roger Penrose der Nobelpreis in Physik zugesprochen wurde. «Wir haben keine Ahnung, was in einem schwarzen Loch drin ist», sagte sie telefonisch an der Pressekonferenz.
Und doch wissen wir inzwischen einiges über diese mysteriösen Objekte, unter anderem dank den drei Nobelpreisträgern 2020. So können wir von einigen schwarzen Löchern sagen, wo sie sich befinden. Eines davon steckt zum Beispiel im Zentrum unserer Galaxie, der Milchstrasse.
Doch wie lässt sich überhaupt ein Objekt beobachten, dass doch per Definition komplett schwarz, also unsichtbar ist? Das geht nur indirekt. Und es erfordert in Sachen Teleskop ziemlich schweres Geschütz. Zum Beispiel das «Very Large Telescope» in Chile: Es besteht aus vier Teleskopen mit je acht Metern Durchmessern. Deren Licht wird über ein unterirdisches Spiegelsystem zusammengeführt. Zusammengenommen ergibt das eine 25 Mal bessere Auflösung als ein einzelnes Teleskop. Aber nur, wenn extrem exakt gearbeitet wird: Die Weglängen der Lichtstrahlen von den vier Teleskopen dürfen auf hundert Meter um höchsten einen Tausendstel Millimeter voneinander abweichen.
Das Ganze steht auf 2600 Metern Höhe in der Atacamawüste, wo kein Umgebungslicht die Beobachtungen stört. Das Gästehaus des Observatoriums ist nicht nur Astronominnen und Physikern bekannt - dort wurden einige Szenen des James-Bond-Films «Ein Quantum Trost» gedreht.
Ein schwarzes Loch lässt sich zwar selbst mit den besten Teleskopen der Welt nicht sehen. Aber die Forschungsgruppe um Reinhard Genzel, Direktor des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik, beobachtet in Chile die Sterne, die ums Zentrum der Galaxie kreisen. Und deren Licht wird von der Schwerkraft des schwarzen Loches entweder gestreckt oder gestaucht, je nach Bewegungsrichtung des Sterns. Das zeigt sich in einer Veränderung des Farbtons.
Mit solchen Beobachtungen konnte Genzel zeigen, dass sich im Zentrum der Milchstrasse höchstwahrscheinlich tatsächlich ein schwarzes Loch befindet. Ähnliche Beobachtungen machte die Gruppe um Andrea Ghez mit Teleskopen von einem Vulkan in Hawaii aus. Das schwarze Loch ist ungefähr vier Millionen mal schwerer als die Sonne, es zählt zu den supermassiven schwarzen Löchern.
Überraschend kommt der diesjährige Nobelpreis nicht. «Die Namen der Preisträger wurden immer wieder genannt», sagt Astrophysik-Professor Sascha Quanz von der ETH Zürich.
Bei Roger Penrose war der Nobelpreis fast schon überfällig.
Penrose hat in den Sechzigern die mathematischen Tools entwickelt, mit denen sich aus der Allgemeinen Relativitätstheorie auf die Entstehung schwarzer Löcher schliessen liess.
Der Brite hatte damit einen Schritt geschafft, der selbst für Einstein zu gross gewesen war. Der legendäre Physiker, der vor 99 Jahren selbst mit einem Nobelpreis ausgezeichnet worden war, hatte nicht geglaubt, dass schwarze Löcher real existierten. Allerdings führen diese mysteriösen unsichtbaren Objekte auch zu einigen ziemlich schrägen Konsequenzen.
Ulf Danielsson, Physiker und Mitglied der Nobelkommission, nahm an der Pressekonferenz zur Anschauung eine schwarze Kugel in die Hand und erklärte:
Am Rand des schwarzen Loches scheint die Zeit still zu stehen.
Weiter erläuterte er: «Wenn meine Fingerspitze im schwarzen Loch drin ist, steckt sie in der Zukunft. Sie zurückzuziehen ist so schwierig, wie in der Zeit rückwärts zu gehen.»
In den vergangenen Jahren gab es grosse Fortschritte in der Erforschung der schwarzen Löcher. So ging 2019 ein Bild um die Welt, das einen verschwommenen Lichtkreis vor schwarzem Hintergrund zeigte: das erste Foto eines schwarzen Loches. Wobei darauf natürlich nicht das Loch selber zu sehen ist, sondern die aufgeheizte Masse, kurz bevor sie im Loch verschwindet.
Auch beim Nobelpreis 2017 ging es um schwarze Löcher: Ausgezeichnet wurden drei Herren, die zur Beobachtung von Gravitationswellen beigetragen haben. Und Gravitationswellen haben ihren Ursprung in schwarzen Löchern.
Das schwarze Loch, das Ghez und Genzel beobachtet haben, ist 26'000 Lichtjahre von uns entfernt. Das Licht braucht also 26'000 Jahre, bis es zu uns gelangt. In anderen Worten: Wir sehen, was dort vor 26'000 Jahren passierte. Es gibt aber auch sehr viel näher schwarze Löcher. Möglicherweise sogar in der Schweiz. Bei den Experimenten am Kernforschungszentrum Cern in Genf können solche entstehen. Sie sind allerdings winzig klein und fressen sich keineswegs durchs Land, sondern zerfallen sogleich wieder.
Zur Hälfte geht der Nobelpreis an den 89-jährigen Briten Roger Penrose. Er war Professor an der Universität Oxford und entwickelte die mathematischen Methoden, mit denen er die Existenz schwarzer Löcher aus der Allgemeinen Relativitätstheorie herleiten konnte. Penrose ist auch Autor mehrerer populärwissenschaftlicher Bücher.
Die 55-jährige US-Amerikanerin hat mit Beobachtungen am Keck-Observatiorium in Hawaii Hinweise auf die Existenz eines supermassiven schwarzen Loches im Zentrum der Milchstrasse geliefert. Die Professorin der University of California in Los Angeles (UCLA) ist erst die vierte Frau, die einen Physiknobelpreis erhält. Zuletzt war diese Ehre vor zwei Jahren Donna Strickland zuteil geworden, davor 1963 Maria Goeppert und 1903 Marie Curie.
Der 58-jährige Deutsche ist Direktor des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik. Er machte mit dem «Very Large Telescope" in Chile ähnliche Beobachtungen wie Andrea Ghez in Hawaii. ETH-Physiker Sascha Quanz, der Genzel von einem Workshop kennt, sagt über ihn: «Er lebt für die Wissenschaft, ist getrieben von den fundamentalen Fragen. Und er hat das technische Verständnis, um die dafür notwendigen Instrumente zu entwickeln.»