Coronavirus
Partys, ein Fussballmatch und Gottesdienste: An diesen Events wurde die Verbreitung des Coronavirus massiv beschleunigt

Wissenschaftler haben sogenannte «Superspreader», also diverse Ereignisse und Orte, identifiziert, die die Corona-Pandemie rasant beschleunigt haben dürften. Dazu gehören ein Fussballmatch, ein Skiresort und religiöse Feiern.

Peter Blunschi
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Soldaten mit Desinfektionsmitteln vor dem Sitz der «Shincheonji Church of Jesus» in Daegu. Dort hat ein grosser Teil der Infektionen in Südkorea ihren Ursprung.

Soldaten mit Desinfektionsmitteln vor dem Sitz der «Shincheonji Church of Jesus» in Daegu. Dort hat ein grosser Teil der Infektionen in Südkorea ihren Ursprung.

Keystone

Das Coronavirus hat sich weltweit ausgebreitet. Verantwortlich dafür dürften auch so genannte Superspreader sein. Gemeint sind Infizierte, die ungewollt eine überdurchschnittlich grosse Zahl ihrer Mitmenschen anstecken. Häufig ist dies zu Beginn einer Pandemie der Fall, wenn das Risiko noch unterschätzt wird. Auch im Fall des Coronavirus gibt es Verdachtsfälle.

Die Wissenschaft hat mehrere Ereignisse und Orte ausgemacht, die vermutlich besonders stark zur Ausbreitung des Virus beigetragen haben. Nicht in allen Fällen ist die Beweislage lückenlos. «Es ist aber wahrscheinlich, dass einzelne Vorkommnisse mit vielen Infizierten die Pandemie regional beschleunigt haben», schreibt der «Spiegel». Ein Überblick:

Fussball

Bergamo ist der «Ground Zero» der Corona-Pandemie in Europa. Hunderte sind in der Stadt bis heute an Covid-19 gestorben. Nun steht ausgerechnet das grösste Fussballfest in der Geschichte Bergamos unter Verdacht, als eine Art Brandbeschleuniger gewirkt zu haben. Oder als «biologische Bombe», wie der Bürgermeister Giorgio Gori meinte.

Gemeint ist der Champions-League-Achtelfinal vom 19. Februar zwischen Atalanta Bergamo und dem FC Valencia, der aus Kapazitätsgründen im Giuseppe-Meazza-Stadion in Mailand stattfand. 44'000 Fans waren in engem Kontakt, auch auf der Hin- und Rückreise. Die Beweislage ist nicht lückenlos, aber der Match dürfte zur prekären Lage in Bergamo beigetragen haben.

Das Rückspiel fand am 10. März in Valencia vor leeren Rängen statt. Danach wurden 35 Prozent der Mitarbeiter des FC Valencia positiv auf das Coronavirus getestet. Unter Verdacht steht in diesem Fall auch der Liga-Match gegen Deportivo Alaves vom 6. März. Er fand in Vitoria im Baskenland statt, einem Corona-Hotspot im ebenfalls stark betroffenen Spanien. Dort wiederum haben sich 60 Teilnehmer einer Trauerfeier infiziert.

Après-Ski

Zu den Pandemie-«Hochburgen» gehört auch der Tiroler Ferienort Ischgl, in dem sich in jedem Winter Zehntausende Touristen aus ganz Europa zum Skifahren und Abfeiern treffen. In den Fokus geriet Ischgl, dessen Skigebiet mit jenem von Samnaun verbunden ist, am 29. Februar: In Island wurden 15 Corona-Fälle in einer aus dem Tirol zurückgekehrten Reisegruppe entdeckt.

Die Behörden in Ischgl reagierten nicht, mit fatalen Folgen. Am 7. März wurde ein Barmann eines populären Après-Ski-Lokals positiv auf das Coronavirus getestet. Solche Serviceleute sind perfekte Superspreader, und tatsächlich wurden 24 Personen aus dem Umfeld des Barmanns später ebenfalls positiv getestet. Dennoch wurde die Skisaison in Ischgl erst am 14. März beendet.

Vermutet wird, das Hunderte Skitouristen das Virus in ihren Heimatländern weiterverbreitet haben. Die österreichische Regierung stellte das Paznauntal, in dem sich Ischgl befindet, und schliesslich am 18. März das gesamte Bundesland Tirol unter Quarantäne. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, ob die Behörden die Corona-Gefahr aus wirtschaftlichen Gründen vertuscht hatten.

Kirchgemeinden

Religiöse Zeremonien sind ebenfalls ein guter Nährboden für die Verbreitung von Krankheiten. In zwei Fällen gibt es klare Belege, dass dies beim Coronavirus der Fall war. Vom 17. bis 21. Februar fand in der Freikirche «La Porte ouverte chrétienne» in Mulhouse eine so genannte Fastenwoche mit rund 2000 Teilnehmern statt. Dort soll es zu zahlreichen Infektionen gekommen sein.

Seither hat sich das Elsass zum Zentrum der Krise in Frankreich entwickelt. In den dortigen Spitälern herrschen dramatische Zustände. Corona-Patienten wurden mit einem umgebauten TGV in andere Regionen des Landes verlegt oder von Spitälern in Deutschland und der Schweiz aufgenommen. Auch Schweizer Teilnehmer des Freikirchen-Treffens haben sich angesteckt.

Besonders krass ist die Situation in Südkorea. Mehr als 60 Prozent der dort nachgewiesenen Infektionen stehen in Verbindung mit der Sekte «Shincheonji Church of Jesus» in der Stadt Daegu. Als Superspreaderin wurde eine aus Chinaangereiste Frau identifiziert, die an mindestens vier Gottesdiensten der Sekte teilgenommen hatte, bevor sie positiv auf das Virus getestet wurde.

Erschwerend kam hinzu, dass die Sekte sich gegenüber der Öffentlichkeit abzuschotten pflegt und entsprechend unkooperativ gegenüber den Bestrebungen der Behörden verhielt, die Infizierten durch das in Südkorea sehr wichtige Contact Tracing aufzuspüren. Auch in der Stadt Seongnam wurden Mitglieder einer anderen Kirchgemeinde positiv auf den Erreger getestet.

Partys

Junge Menschen tendieren dazu, das Coronavirus zu unterschätzen, weil sie sich nicht betroffen fühlen. Wohin das führen kann, zeigt sich in Belgien. Bevor am 14. März landesweite Ausgangsbeschränkungen in Kraft traten, fanden an verschiedenen Orten sogenannte Lockdown-Partys statt. Nun befinden sich zahlreiche Teilnehmer auf den Intensivstationen der Spitäler.

Als «Virenschleudern» könnten sich auch die Spring-Break-Partys erweisen, zu denen im März Zehntausende junge Amerikanerinnen und Amerikaner ins Rentnerparadies Florida reisen. Sie wollten sich dieses Vergnügen trotz klarer Warnungen vor dem Coronavirus auch dieses Jahr nicht nehmen lassen. Bereits wurden diverse Teilnehmerinnen und Teilnehmer positiv getestet.

Auch private Partys können verheerend wirken. Unter Verdacht steht etwa eine Frau, die am 5. März in Westport im US-Bundesstaat Connecticut ihren 40. Geburtstag mit etwa 50 Leuten gefeiert hatte. Ein Fünftel aller Corona-Fälle in Connecticut entfallen inzwischen auf Westport, obwohl dort nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung des Bundesstaats an der Ostküste lebt.

Weltweit dürfte es zahlreiche ähnliche Fälle geben. In der Schweiz konnte bislang kein solcher Event und auch kein Superspreader nachgewiesen werden. Allerdings gibt es bislang auch kaum Bestrebungen, die Fälle zurückzuverfolgen und so ihren möglichen Ausgangspunkt zu ermitteln.