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Leben
Wo gegessen wird, wird getrunken, bald dummgeschwatzt. Herabwürdigende Bezeichnungen für Speisen haben in der Schweiz Tradition. Arbeiter, Italiener, Schwarze, Frauen und Juden kriegen ihr Fett ab.
Wenn ich die fünf schönsten Bezeichnungen für ein Gericht wählen dürfte, wäre der «Apfel im Schlafrock» auf Platz 3. Aber wir reden dieser Tage nicht von schönen, sondern von einer unschönen Bezeichnung, dem «Mohrenkopf».
Doch Schwarze werden leider nicht nur mit dem Mohrenkopf in Verbindung gebracht, sondern auch mit Coca-Cola, das in der Schweiz als «Negerschweiss» bezeichnet wurde. Die Österreicher diskutieren derweil über ihren «Mohr im Hemd», eine Süssspeise aus Schokolade, Walnusskernen und Rotwein. Nur schon beim Denken daran läuft einem das Wasser im Mund zusammen.
Wenn man aber an den Truffe-Cake einer Zürcher Confiserie denkt, dann verfinstert sich das Gesicht: Er wird «Kindersarg» genannt.
Wo gegessen wird, wird getrunken, bald dummgeschwatzt. Und dabei entstehen die kuriosesten Bezeichnungen, die es bisweilen rund um die Welt schaffen. Kein Wunder, gibt auch die Form so manchem Essen seinen Namen – und der kann auch sexistisch werden. Nicht nur in den Bierhallen wird an den Tischen vom «Frauentraum» gesprochen, wenn ein Schüblig serviert wird.
Aber ist das «Meitschibei» vom Konditor harmloser?
Männer haben Frauen allerdings viele edle Speisen gewidmet, Pêche Melba oder die Pizza Margherita zeugen davon. Aber naturgemäss kommen Frauen auch in dummen Bezeichnungen vor: Champagner heisst «Nuttendiesel» und der leicht angebrannte Rest im Fondue ist die Religiseuse, die Nonne oder die Grossmutter. In Ostdeutschland ist die «Tote Oma», eine Topfwurst, sehr beliebt.
Interessant sind auch die berühmten Spaghetti alla puttanesca mit Knoblauch, Tomaten, Sardellen und Peperoncini: Spaghetti nach Hurenart. Ob die Bezeichnung aus dem Alltag der italienischen Prostituierten abgeleitet ist, weiss man nicht so genau. Vielleicht heisst diese Pasta simplerweise auch so, weil sie besonders scharf ist.
Italienische Anlehnungen sind bei den Schweizer sehr beliebt – meist sind sie liebevoll gemeint, wäre da nicht die abwertende Bezeichnung «Tschingg» (sie geht auf das «Morra»-Spiel zurück, das die ersten Einwanderer oft spielten. Dabei fällt die Zahl 5, cinque, sehr oft – und schon waren die Italiener die «Tschinggen»): «Tschingge-Frisbii» für Pizza, «Tschingge-Schnüer» für Spaghetti und «Tschingge-Beton» oder «Tschinggge-Chotz» für Polenta sind dumm, «Tschingge-Schampoo» für Olivenöl rassistisch.
Die Italiener müssen in der Romandie für eine feine Arme-Leute-Speise herhalten: Dort nennt man den Fleischkäse «Fromage d’Italie», den es in Italien gar nicht gibt.
Im Prinzip sind die Gerichte mit Ortsbezeichnungen aber harmlos: Der Hamburger, Spaghetti bolognese, Frankfurter oder Wienerli, der «Schwedenhappen» (Hering) sind nicht zu vergleichen mit dem Mohrenkopf, bei dem ein optischer Vergleich mit einer Rasse gezogen wird. Wenn hingegen der Fleischkäse «Schwamedinger Filet» genannt wird, spielt man auf ein Quartier an, wo einst viele Arbeiter wohnten.
Bezeichnenderweise haben die reichen Schweizer für ihre leckeren Arme-Leute-Speisen auch negative oder ironische Bezeichnungen entwickelt. Der Cervelat ist die «Arbeiter-Forelle», ein «Bauern-Cordon-bleu» ein Cervelat mit Käse und Speck.
Die Arbeiter kriegen ihr Fett ab, aber auch Senioren, wenn vom «AHV-Gulasch», Kaffee mit eingeweichten Brotstücken, geredet wird.
Bisweilen musste ein Name her, um etwas Exotisches zu bezeichnen: Toast Hawaii oder der Riz Casimir. Ihn wird man in Indien nirgends finden, er wurde in der Schweiz in den 1950er-Jahren erfunden. Beim mit Paprika gewürzten «Zigeunerschnitzel» wird es heikel, da mit einer rassistischen Bezeichnung hantiert wird.
Wer zu Beginn der 1990er-Jahre die Rekrutenschule besuchte, dem wurde noch ganz anderes serviert – «Gestampfter Jude» etwa. Die Fleischkonserve wird auch «Büchse-Indianer» oder «Ghackte Missionar» genannt. Auch der «Judegünggel» für Cervelat war in der Armee zu hören.
Schön hingegen sind fantasievolle, auch euphemistische Umschreibungen wie «Spanische Nierli» für Stierhoden oder «Cholera»: Das ist ein im Wallis servierter Gemüsekuchen mit Lauch, Kartoffeln, Käse und Äpfeln.
Volksetymologisch bringt man ihn mit der Cholera vom 1830 zusammen, als man im Lockdown sass und mit dem, was man hatte, einen Kuchen gebacken hat.
Glücklich ist, wer Vogelfutter, Fledermaus und Fleischvogel futtert. Dumm nur, wenn sie schlecht zubereitet sind, werden sie dann zum «Schlangenfrass». Als ob eine Schlange nicht wüsste, was gut ist, wenn sie etwa ein frisches Huhn, einen «Gummiadler», verschlingt. Noch übler als dem Huhn ergeht es der Brachsme, einem Weissfisch, der wegen seiner Form zum «Schissideckel» wurde: Fischer Braschler in Hurden verkauft heute in kleine Stücke geschnittenen Brachsmen-Bauchfleisch als Gulasch.
Und meine fünf schönsten Bezeichnungen? Zum «Apfel im Schlafrock» nehme ich noch den Palatschinken, den Kaiserschmarrn, die Schillerlocke und den Rollmops hinzu. Guten Appetit.