mRNA-Impfung
Unheimlich spannend: Der Wirkmechanismus der mRNA-Impfung ist noch nicht komplett entschlüsselt

Nur Personen, die mit einem mRNA-Impfstoff geimpft wurden, entwickeln die spezielle Art der IgG4-Antikörper. Das zeigt eine Studie jetzt, zwei Jahre nach dem Impfstart. Doch was bedeutet das?

Sabine Kuster
Sabine Kuster 14 Kommentare
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mRNA-Vakzine wirken sehr effektiv. Aber warum entstehen aussergewöhnlich viele spezielle Antikörper?

mRNA-Vakzine wirken sehr effektiv. Aber warum entstehen aussergewöhnlich viele spezielle Antikörper?

Bild: Sopa Images/LightRocket

Vor zwei Jahren liess sich die Mehrheit der Bevölkerung in der Schweiz mit zwei mRNA-Dosen gegen Sars-CoV-2 impfen. Andere zögerten, weil die Technologie bei Krebserkrankungen erprobt war, aber nicht bei Viruserkrankungen. Die Zulassungsstudien zeigten keine aussergewöhnlichen Nebenwirkungen. Selbst als ein Jahr später klar wurde, dass das Risiko für Herzmuskelentzündungen bei jungen Männern nach einer Moderna-Impfung etwas höher ist als nach einer natürlichen Infektion, stellte dies die mRNA-Impfungen nicht grundsätzlich infrage. Der Vektor-Impfstoff von AstraZeneca führte seinerseits zu mehr Hirnvenenthrombosen bei jungen Frauen.

Impfstoffe haben Nebenwirkungen. Darum geht es hier nicht. Sondern darum, ob die mRNA-Impfung etwas komplett Neues mit Langzeitwirkung bewirkt. Nun gibt es diese Studie um den deutschen Virologen Pascal Irrgang, welche eine Antikörper-Sorte zeigt, die nur nach einer mRNA-Impfung entsteht. Nicht nach Infektion, nicht nach AstraZeneca. Tun die mRNA-Impfungen also doch etwas Spezielles? Sind sie dieses Trojanische Pferd, wie es die Impfskeptiker behaupteten?

Nein, immer noch nicht. Zwei Jahre nachdem Millionen geimpft wurden, sind keine aussergewöhnlichen Folgen bekannt geworden. Und dies trotz Hunderter neuer Studien über gerade diese beiden mRNA-Impfstoffe weltweit. Es ist inzwischen zwar klar, dass die Corona-Impfungen maximal im Promillebereich wie eine natürliche Infektion ebenfalls zu Long-Covid-ähnlichen Symptomen führen können (Long Covid nach natürlicher Infektion liegt im Prozentbereich). Genug schlimm für die Betroffenen – aber auch kein Indiz für einen aussergewöhnlichen Mechanismus der mRNA-Impfungen.

Die Wirkung von IgG3 ist zu wenig erforscht

Sie zeigte lediglich die Entstehung sogenannter IgG4-Antikörper nach der zweiten Impfung. Es ist aber nicht klar, ob IgG4-Antikörper langfristig die Abwehr einer Corona-Infektion verändern – und wenn ja, ob sie sie schwächt oder stärkt. Man weiss, dass zwei andere Sorten, die IgG1- und IgG3-Antikörper, gut schützen, aber nicht, ob dies auch IgG4 tut.

Die Immunologen und Virologinnen wurden zwar hellhörig – die grosse Aufregung ist aber nicht ausgebrochen. Ja, auch weil man über die Funktion dieser speziellen Antikörper bei Virusinfektionen noch vieles nicht weiss. Zwar verringert laut einer Studie von 2019 eine höhere Konzentrationen von IgG4 gegen das Denguefieber-Virus das Krankheitsrisiko. Doch die Forschung steckt in den Anfängen.

Grund für die Entstehung könnte das kurze Impfintervall sein

Immunologen wie der Berliner Andreas Radbruch vermuten, dass sie entstanden, weil die zweite Impfdosis schon nach drei Wochen verabreicht wurde. Üblicherweise wird erst nach drei bis vier Monaten zum zweiten Mal geimpft, weil die Impfwirkung weniger stark ist, wenn man in die erste Immunreaktion reinimpft. Diese Abschwächung sah man bei den mRNA-Impfungen nicht und man war mitten in der Pandemie froh, dass die Leute so nach Wochen und nicht erst nach Monaten den kompletten Schutz gegen schwere Erkrankung erhielten.

Ob das ein Fehler war, positiv oder egal, muss untersucht werden. Die offenen Fragen aus der Pandemie werden uns noch länger begleiten. Es mag unheimlich sein, dass die Corona-Impfungen erst ganz genau analysiert werden, wenn schon Millionen geimpft sind. Das ist allerdings bei neuen Impfungen immer so. Jetzt schon und deutlich zeigen Studien jedoch die Sofort- und Langzeitrisiken einer natürlichen Infektion aus dem ersten Pandemiejahr, als noch niemand geimpft war. Das relativiert die Ungewissheit zu den Auswirkungen dieser einen Antikörper-Art auf das Spikeprotein nach mRNA-Impfung.

Weitere Forschung dazu kommt hoffentlich bald. Wenn der Mechanismus verstanden ist, könnte das der Impfstoff-Forschung generell helfen, und endlich zu einer wirksamen Impfung gegen Malaria führen: Der neue, mässig wirksame Malaria-Totimpfstoff RTS,2 zeigte 2019 nämlich überraschend, dass auch IgG4-Antikörper zur Abwehr beitragen.

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Philipp Imhof

Ich denke, das «Problem» ist eher, dass heute – auch dank dem Internet – viel mehr über solche Details geschrieben und gesprochen wird, das aber viele Leute überfordert, vor allem wenn es ohne Einordnung durch eine Fachperson daherkommt. (Nicht falsch verstehen, ich finde es toll, dass man so viele Informationen erhält.) Mal ehrlich: Wenn man eine Umfrage durchführt, in der man 10'000 Personen bittet, verschiedene Arten von Antikörpern aufzuzählen, dann gibt es wohl keine 50, die überhaupt wissen, dass es mehrere Arten gibt. Viele haben bestenfalls rudimentäre Kenntnisse davon, wie unser Immunsystem funktioniert. Millionen von Schweizer:innen nehmen mehrmals jährlich Paracetamol. Seit rund 70 Jahren ist es als Arzneimittel verfügbar und beliebt. Seit rund 50 Jahren steht es auf der Liste der unentbehrlichen Medikamente. Aber der Wirkmechanismus ist nach wie vor nicht genau bekannt. Das scheint niemandem Angst zu machen.

Philipp Imhof

Durchaus. Wobei man das mit dem Tempo doch etwas relativieren muss. Die mRNA-Technologie ist seit 30 Jahren bekannt. Erste Versuche zur Behandlung von Hautkrebs gab es vor 20 Jahren. Die Hoffnung war riesig. Ein grosses Problem war aber, die mRNA zuverlässig an ihren Wirkungsort zu bringen, ohne dass sie zerfällt bzw. von bestimmten Enzymen im Körper zerstört wird. Vor 10 Jahren gab es klinische Studien zur Krebstherapie mit mRNA. Man konnte aber leider keine signifikante Wirkung feststellen. Mit der Zeit glaubten nur noch relativ wenige Leute daran, dass diese vielversprechende Technologie irgendwann zum Erfolg führen könnte. Konsequenz: Es war immer schwieriger, zu Geld zu kommen. Die Forschung kam nur wenig voran. Dann kam Corona. Plötzlich war fast unbeschränkt Geld vorhanden. So kam die abstrakte Plattform zu einer konkreten Anwendung. Diese Impfstoffe sind also nicht in wenigen Monaten entwickelt worden, sondern das Resultat von 30 Jahren Forschung. Nicht so alt wie Paracetamol, aber älter als Viagra, das trotz beträchtlicher Risiken sofort reissenden Absatz fand.  Normalerweise dauert die Zulassung einer Impfung v. a. lang, weil es schwierig ist, das Geld für die teuren Zulassungsstudien und die  20'000 - 40'000 Probanden zu rekrutieren. Beides war bei Corona offenbar kein Problem. So hat man ebenfalls locker 2 Jahre gespart.