Architektur
Mit Holz in den Himmel bauen: Ein Londoner Hochhaus-Projekt könnte wegweisend sein

Leichter, billiger, nachhaltiger: Holz könnte der Baustoff der Zukunft sein. Auch in der Schweiz.

Adrian Lobe
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Holzhochhäuser könnten die Zukunft sein
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Das HoHo-Wien-Gebäude, das höchste Holzhochhaus der Welt. Es ist 84 Meter hoch.Fotos: hoHO
In einem Wohnzimmer aus Holz leben wir gesünder.

Holzhochhäuser könnten die Zukunft sein

HO

London ist derzeit eine einzige Baustelle: Baukräne ragen in die Höhe, Kieslaster und Betonmischer rumpeln durch die Strassenschluchten. Über 200 neue Hochhäuser werden im Moment gebaut oder sind in Planung. Doch was das Architekturbüro PLP zusammen mit der Universität Cambridge plant, könnte alle Dimensionen sprengen: Ein 300 Meter hohes Hochhaus aus Holz im geschichtsträgen Barbican Estate im Herzen der Hauptstadt, doppelt so hoch wie der Kölner Dom. Der Entwurf sieht einen 80 Stockwerke hohen Wohnturm mit 1000 Wohneinheiten und schrägen Strebepfeilern vor, der aus echtem Fachwerk besteht. 65000 Kubikmeter Holz sollen für den Bau des Gebäudes benötigt werden.

Dass ausgerechnet in London, wo vor 350 Jahren eine gewaltige Feuersbrunst (Great Fire) wütete und die meisten mittelalterlichen Bauten zerstörte, ein Wolkenkratzer aus Holz gebaut werden soll, mag zunächst wie eine Hybris anmuten, doch neben seinen ästhetischen Qualitäten bietet Holz als Baustoff einige entscheidende Vorteile gegenüber Stahl- und Betonkonstruktionen: Das Material ist leichter, billiger und vor allem – als nachwachsender Rohstoff – umweltfreundlicher und nachhaltiger. Während bei der Stahl- und Betonproduktion gewaltige Mengen CO2 emittiert werden, absorbiert der natürliche Rohstoff Treibhausgase. Die Holzkonstruktion würde 5000 Tonnen CO2 binden, so viel wie 5000 Londoner im Jahr produzieren. Hinzu kommt, dass die Bewohner eines Holzgebäudes dank seiner thermischen und akustischen Eigenschaften gesünder leben.

In einem Wohnzimmer aus Holz leben wir gesünder.

In einem Wohnzimmer aus Holz leben wir gesünder.

Nordwestschweiz

Holzhochhäuser in der Schweiz

Für eine Grossstadt wie London ergeben sich aus der Holzbauweise weitere Vorteile: Zum einen wäre die Baustelle deutlich leiser. Die Bautrupps müssten nicht mehr mit schwerem Gerät anrücken, um ein tiefes Fundament für die Metallstreben zu graben oder Flüssigbeton einzugiessen. Lärmquellen machen bekanntlich krank. Zum anderen würde sich das Verkehrsaufkommen reduzieren, das zur Feinstaubbelastung in Städten beiträgt. Der Materialforscher Michael Ramage von der Universität Cambridge hat errechnet, dass auf jeden Lastwagen, der Holz ankarrt, fünf Laster mit Stahlbeton kommen.

Die Vorzüge von Holz haben sich auch andernorts herumgesprochen. Holz erobert die Grossstädte. In Neu-Delhi plant das Pariser Architekturbüro Vincent Callebaut sechs durchgrünte Hochhaustürme, bei denen überwiegend regionales Holz verbaut werden soll. In Stockholm ist ein 40-stöckiger Wohnturm aus Holz geplant, dessen Fassade mit Ziffern und Buchstaben ausstaffiert ist.

Auch in der Schweiz spürt man den Trend hin zu «Bauen aus Holz». Die Dimensionen sind derzeit aber noch wesentlich kleiner als in den umliegenden Ländern. «Wir sind mitten in der Planung eines siebenstöckigen Wohn-Hochhauses in Steinhausen», sagt Christoph Müller, Holzbauingenieur beim Holzbaubüro Reusser in Winterthur. Das 22 Meter hohe Haus ist eines der höheren geplanten Holzhochhäuser in der Schweiz. Das höchste Bauprojekt aus Holz ist 36 Meter hoch und befindet sich in Risch-Rotkreuz; Die Bauarbeiten haben diesen Sommer begonnen. Müller findet die Entwicklung hin zum Holzhochhaus gut. «Es ist eine ökologische und schnellere Bauweise. Durch den kontrollierten Abbrand des Baustoffes Holz erhalten tragende Bauteile eine sehr hohe Brandsicherheit.»

Auch in Wien wird ein Holzhochhaus konkret. In der österreichischen Hauptstadt entsteht derzeit das mit 84 Metern höchste Holzhochhaus der Welt. Heute beginnen die Bauarbeiten für das 65 Millionen Euro teure «HoHo Wien», 2018 soll das Gebäude fertig sein. Die grösste Herausforderung für die Bauherren ist nicht etwa die Statik, sondern die Tragfähigkeit und der Brandschutz. Bei der Holzkonstruktion werden vorgefertigte Elemente aus Brettsperrholz (CLT) verbaut, die als äusserst robust gelten und kombiniert mit Massivholzwänden ideal für Systembauweisen geeignet sind. Bei diesen speziellen CLT-Platten werden Holzplatten schichtweise über Kreuz verleimt. Dadurch erhöht sich die Stabilität und Widerstandsfähigkeit gegen Kälte und Nässe. Dennoch sind dem Material Grenzen gesetzt. Ab einer gewissen Gebäudehöhe können auch CLT-Elemente die Lasten nicht mehr aushalten. In einigen Ländern wie Russland oder Kanada gelten daher Höhenbegrenzungen für Holzhäuser.

Alternative zu Beton

Zwar fehlt bei den Holzhochhäusern Beton, der eine zusätzliche Feuerschutzschicht zwischen die Etagen legt, doch die Brandgefahr könnte durch entsprechende Schutzbeschichtungen und Sprinkleranlagen eingedämmt werden, sagen die Planungsbüros der Architekten. Während Holz langsam und berechenbar abbrennt, brechen Stahlträger unkontrolliert ein – das hat uns der Einsturz der beiden Türme des World Trade Center vor Augen geführt.

Dennoch wäre es verfehlt, Holz als das «neue Beton» zu feiern, wie dies einige Wissenschaftsblogs tun. Der Rohstoff wächst nur langsam nach, und wenn nun Wälder für zertifiziertes Holz gerodet werden, stellt sich schnell ein Grenznutzen der ökologischen Nachhaltigkeit ein. Holz ist kein Ersatz für Beton, allenfalls eine Alternative. Christoph Müller verweist auf die Kombination verschiedener Bauweisen, die sinnvoll sei, um etwa hohen Schallschutzanforderungen gerecht zu werden. Deshalb verzichtet das Holzbaubüro nicht ganz auf Beton, sondern legt eine Betonschicht auf die Holzdecke.

Beim Baustoff Holz lobt man vor allem die Langlebigkeit: Der Horyu-ji-Tempel in der japanischen Stadt Ikaruga, der um 600 nach Christus aus Holz errichtet wurde und zum Unesco-Weltkulturerbe gehört, hat in seiner 1400-jährigen Geschichte Wind und Wetter getrotzt und mehrere Erdbeben überstanden.