30 Grad im Winter und eine denkmalgeschützte Altstadt – Nicht nur darum ist Sansibar vor der Küste Ostafrikas schwer im Kommen.
Bakari hält seinen Schatz zwischen Daumen und Zeigefinger: grüne und rote Pfefferkörner an einem kleinen Zweig. «Wir ernten den Pfeffer von November bis Januar», sagt der Gewürzfarmer aus Pemba und führt Besucher tief zwischen dichtes Blattwerk. Sonnenstrahlen dringen wie Laserpfeile durch den Dschungel. Vögel zwitschern, sonst ist nichts zu hören.
Nur Stunden später hat am Strand von Kendwa ein muskulöser Bodyguard alle Hände voll zu tun, junge Leute aus der ganzen Welt davon zu überzeugen, dass sie auch als Strandspaziergänger nicht umsonst zur «Vollmondparty» im populären Kendwa Rocks Hotel eingelassen werden.
Ruhe in Pemba, Rummel in Kendwa – zwischen diesen beiden Polen bewegt sich heute Sansibar, die sagenumwobene Insel vor der Küste Ostafrikas. Wenige Orte in der Welt entfalten Mystik allein durch ihren Namen, und so mancher entpuppt sich als Fata Morgana. Sansibar aber, Weltkulturerbe, Gewürzinsel und Tauchparadies, hält stand. Den Archipel mit 1,3 Millionen Einwohnern steuern bereits eine halbe Million Touristen jährlich an, eine Verdopplung in den letzten fünf Jahren. Der halbautonome Inselstaat ist auf dem besten Weg, seinen luxuriösen Schwestern im Indischen Ozean den Rang abzulaufen. Dabei ist Sansibar (noch) ganz anders.
Sansibars grosse Besonderheit, die es von Resortinseln wie Mauritius, den Malediven und Seychellen deutlich unterscheidet, ist die von der Unesco geschützte Altstadt direkt am Meer. Stone Town wird das verwinkelte Relikt grosser Zivilisationen genannt, weil alle Gebäude aus Korallenstein erbaut sind. Die Patina einer jahrtausendealten, goldenen Vergangenheit liegt über den engen Gassen, holzgeschnitzten indischen Veranden und bröckelnden arabischen Palästen. Die Stadt wurde einst finanziert durch den Handel mit Sklaven, Elfenbein und Gewürzen. Wie ein lebendes Freilichtmuseum wirkt das historische Schatzkästchen.
Überall mischt sich Altes und Neues: Auf verwitterten Steinbänken, barazas genannt, verkaufen Händler Mangos, stecken die Früchte in grosse braune Briefumschläge. Der Urlauber mag sich wundern, Einheimische sind die seltsamen Verpackungen längst gewöhnt. Sansibar hat seit einem Jahr Plastiktüten verboten, nur gibt es wenige Alternativen. Zwischen Massen geschnitzter Giraffen stechen die einheimischen Designerinnen Doreen Mashika und Tuntifady mit selbst entworfener Afro-Couture heraus. Im Sasik-Shop in Stone Town unterstützt der Kauf handgemachter orientalischer Kissen eine Kooperative von achtzig Frauen mit ihren Familien.
Stilvoll auf persischen Teppichen sitzend, geniessen Globetrotter auf der Dachterrasse des legendären Hotels «Emerson on Hurumzi» arabische Leckereien und den Blick über Wellblechdächer hinaus auf den Indischen Ozean. Derweil verabreden sich junge einheimische Mädchen unter schwarzen Schleiern oder bunten Kopftüchern tuschelnd am Handy zum Date: Sansibar ist zu 95 Prozent muslimisch, gilt jedoch als kosmopolitisch und moderat.
Arabien hier, Afrika dort: Halb so gross wie Mallorca und sechs Grad südlich des Äquators gelegen, wirkt das aus der Zeit gefallene Sansibar wie Marrakesch auf Sylt mit einer Prise Kuba. Denn wie auf Kuba wurden die meisten Gebäude 1964 bei der Vereinigung von Tanganjika und Sansibar zu Tansania verstaatlicht – und dem Verfall preisgegeben. «Sansibar wurde zum Herz des Kalten Krieges in Afrika», schildert der verstorbene Historiker John da Silva.
Deutlichstes Schandmal einer verfehlten Politik ist das «Haus der Wunder», der 1883 errichtete Sultanspalast an der Uferpromenade von Stone Town. Eine Art Weisses Haus von Sansibar. Es war auch das erste Gebäude mit Strom und Aufzug südlich der Sahara. Seit einigen Jahren schon ist der Prachtbau wegen Einsturzgefahr gesperrt, die Unesco drohte mit dem Entzug des Weltkulturerbestatus. Mit Geldern aus dem Oman, der 200 Jahre Herrscher über Sansibar war, sollen weite Teile der Altstadt nun renoviert werden. Auch private Boutiquehotels treiben die Sanierung voran.
Auf ihrem Weg vom Flughafen zum Hotel kommen Urlauber an einem weiteren Unikat Sansibars vorbei: riesige Blöcke grau verschimmelter Plattenbauten, die DDR-Chef Walter Ulbricht in den 1970er-Jahren dem sozialistischen Bruderstaat vermachte. Rund 20 000 Einheimische leben dort – zur Überraschung der Besucher bis heute gern. «Alles ist doch besser als die ruinösen Altbauten von Stone Town», erklärt Lehrer und Altparlamentarier Saif Nasser.
Eine riesige Überbauung anderer Art realisieren derzeit zwei junge Brüder aus Leipzig: Sie bauen vor den Toren der Hauptstadt eine erste afrikanische Öko-City für den Mittelstand. Es ist ein sich selbst finanzierendes Modellprojekt: 500 Reihenhäuschen mit Meerblick, Ökogärten und Müllrecycling sind bereits gebaut und bezogen.
Rund anderthalb Autostunden von Stone Town entfernt warten weisse Traumstrände an der Nord- und Ostküste mit Hotels aller Preisklassen von zehn bis tausend Franken pro Nacht. Am Nordstrand liegen die grossen Resorts, die Ostküste bietet einen Mix von Fischerdörfern und kleineren Hotels. Auf Überlandstrassen, die derzeit von chinesischen Firmen ausgebaut werden, geht es an Mangobäumen und Lehmhütten vorbei zu den Urlaubshochburgen. Im Jozani Forest, dem letzten erhaltenen Urwald Sansibars, sieht der Besucher mit Glück seltene Red-Colobos-Äffchen von Ast zu Ast hüpfen.
Dass Sansibar nicht nur eine Insel, sondern ein ganzer Archipel mit 50 bewohnten Eilanden ist, wissen die wenigsten. Vom Tourismus noch kaum berührt ist Pemba, mit 400 000 Einwohnern die zweitgrösste Insel des Archipels. Dort geht es Gewürzfarmern wie Bakari deutlich besser, seit sie für die Firma 1001 Organic unter dem Schweizer Geschäftsführer Raphael Flury Vanillestangen, Nelken, Zimt und Pfeffer mit EU-Biozertifikat produzieren und nicht auf schleppende, staatliche Abnahme angewiesen sind.
Ausserdem überrascht auf Pemba im «Manta Resort» das erste Unterwasserhotelzimmer Afrikas – für rund 1800 Franken die Nacht. Öko und Luxus verschmelzen auf einer anderen Sansibar-Insel, dem Mini-Atoll Mnemba, das mit einer Entsalzungsanlage sein eigenes Trinkwasser herstellt und Meeresschildkrötennester am Strand vorbildlich schützt.
Nach heissen Tagen am Strand, ob einsam oder belebt, ist es jedoch der marode Charme von Stone Town, der viele Urlauber in seinen Bann zieht. Das Open-Air-Festival Sauti za Busara, eine Art Mini-Woodstock Afrikas, lockt jährlich 20 000 Musikfans an. Eine Vitrine an der Haupteinkaufsmeile Kenyatta Road erinnert an Rockstar Freddie Mercury, der 1946 als Nachkomme persischer Einwanderer in Sansibar zur Welt kam.
Mit Livemusik mag der Urlauber den Abend in der populären Taperia-Bar im sarazenischen Kolonialbau der alten Post ausklingen lassen, auf deren Stufen Prinzessin Margaret von England 1954 die letzte Truppenparade der Protektoratsmacht abnahm. Auch Briefmarken gibt es hier immer noch – aber nur bis 17 Uhr.
Beste Reisezeit
Dezember bis März, Juni bis September
Anreise
Mit Turkish Airlines von Genf, Zürich oder Basel über Istanbul ab 750 Franken.
Übernachten
Jambiani Villas, am ruhigen Oststrand, Villen mit eigenem Pool für zwei bis sechs Personen: www.jambiani-villas.com.
Blue Oyster Hotel in Jambiani, gemütliches Hotel mit Ökozertifizierung: www.blueoysterhotel.com.
Das Hotel Emerson on Hurumzi in der Altstadt von Stone Town: www.emersononhurumzi.com.
Buch
Von der Autorin Andrea Tapper stammt der Reiseführer «From Sansibar with Love» (Orell Füssli Verlag).