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Leben
Das Gebäck, das am Dreikönigstag in der Westschweiz aufgetischt wird, ist süsser als ein Zopfbrot und hat schon eine Revolution überlebt.
Diesen Montag gibt es das spannendste Frühstück des Jahres: Wer auf den Plastikkönig beisst, erhält für einen Tag die (Karton-)Krone. Das Kulinarische ist beim hiesigen Dreikönigskuchen nebensächlich, da süsse Hefebrote längst ganzjährig zu erhalten sind.
Wer die Gaumen überraschen will, besorgt stattdessen einen französischen Königskuchen: die «Galette des rois», ein Blätterteiggebäck, gefüllt mit Mandelcrème. Im Unterschied zum Dreikönigskuchen der Deutschschweiz verdient es die Bezeichnung «Kuchen» wirklich. Das süsse Innere vergeht auf der Zunge, Geschmack und Konsistenz liegen nahe am Marzipan oder der Füllung eines Appenzeller Bibers.
In der Westschweiz und in grossen Teilen Frankreichs ist es dieses Süssgebäck, das traditionell am 6. Januar aufgetischt wird. Als Brauchtum aus dem Mittelalter hat es eine weit längere Geschichte als der Hefe-Königskuchen. Letzterer wurde erst in den 1950ern vom Schweizer Bäckerverband entwickelt. Es gelang der Branche damals, einen in der Deutschschweiz praktisch ausgestorbenen Brauch wiederzubeleben und zu kommerzialisieren.
Nebst Tradition und Geschmack gibt es einen dritten Punkt, in welchem die frankofone Variante der deutschschweizerischen überlegen ist: das Figürchen. Statt eines weissen Plastikdings, kaum als König zu erkennen, steckt in der «Galette» üblicherweise ein bemaltes Porzellanfigürchen, das weit majestätischer wirkt.
Der royale Aspekt des Brauchs wirft ohnehin Fragen auf. Es beginnt mit dem Rätsel, ob es sich um eine weltliche oder geistliche Tradition handelt. In Spanien ist es klar: Dort wird ein Hefekranz verspeist, der ein Jesusfigürchen enthält.
Bei uns dagegen verbinden wir den Königskuchen zwar mit dem Erscheinen der Heiligen Drei Könige beim frisch geborenen Jesuskind. Doch diese Gäste aus dem Morgenland werden in der Bibel nirgends als Könige bezeichnet, eine Krönung kann auf keine Weise glaubhaft mit der Weihnachtsgeschichte verknüpft werden.
Richtig problematisch war der königliche Aspekt nach der Französischen Revolution. Wer damals die Spezialität verzehren wollte, musste sie Freiheitskuchen oder Gleichheitskuchen nennen. In den USA wiederum befürchten die Behörden, das Figürchen – königlich oder nicht – könnte buchstäblich jemandem im Hals stecken bleiben. Es muss deshalb separat zum Kuchen verkauft werden.
In der Schweiz, wo jedes Kind den Dreikönigskuchen kennt, sind derartige Sicherheitsvorkehrungen nicht nötig. Ein Risiko ist beim frankofonen Königskuchen aber nicht auszuschliessen: Da er nicht in Segmente unterteilt ist, kommt es vor, dass das Messer beim Zerteilen mitten ins Figürchen schneidet. Deshalb empfiehlt es sich, im Voraus jeden damit verbundenen Machtanspruch beiseite zu schieben und eine weniger bekannte Variation zu spielen: Das Figürchen entscheidet, wer im kommenden Jahr den Kuchen besorgt.