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Leben
Die Fünferregel gilt auch auf dem Spielplatz und im Wohnquartier. Doch das Umsetzen birgt für Eltern seine Tücken.
An einem normalen schulfreien Frühlingsnachmittag sind die Spielplätze im Bieler Stadtpark fast schon übervölkert. Nicht so gestern: Ein Junge hat die Rutschbahn für sich alleine, zwei Mädchen quatschen auf den Schaukelpferden, und die ansonsten so begehrten Sitze auf den Sandbaggern sind leer, nur ein einzelnes kleines Mädchen gräbt daneben im Sand. Offensichtlich greifen hier die Massnahmen des Bundes und die Eltern bemühen sich, die Kontakte zwischen ihren und anderen Kindern zu vermeiden.
Ein Neunjähriger und eine Achtjährige, die sonst oft im Stadtpark spielen, sind diesmal auf dem Spielplatz am See zu finden. Der Vater erklärt: «Im Stadtpark hat es so viele Leute, dass wir nun mal hier schauen gekommen sind.» Zwar haben sich hier ein gutes Dutzend Kinder zum Spielen eingefunden, aber sie haben sich gut verteilt, an jedem Spielgerät nur eines oder zwei Kinder. Die beiden Geschwister stehen zusammen auf einem drehbaren Tableau, unter dem wachsamen Blick der Eltern und mehr als zwei Meter von anderen Kindern entfernt. «Ich habe ihnen schon zu Beginn der Pandemie gesagt, sie sollen sich von anderen Kindern fernhalten», sagt der Vater. Sie hätten derzeit zu keinen anderen Kindern engen Kontakt.
Ganz so streng scheinen es aber nur wenige Eltern zu nehmen. «Meine Tochter geht noch in die Kita», sagt die Mutter eines dreijährigen Einzelkindes. «Es ist gut für die Familienhygiene, wenn Mutter und Vater sich zu Hause mal ganz auf die Arbeit konzentrieren können.» Auf dem Spielplatz achte sie aber darauf, dass die Tochter den anderen Kindern nicht zu nahe komme. Das gehe gut, die Kleine sei nicht so kommunikativ, dass sie einfach auf fremde Kinder zugehe. Und tatsächlich: Das Töchterchen watschelt zwar von der Mutter weg, steuert aber ganz alleine auf eine leere Schaukel zu.
Schwieriger scheinen die bundesrätlichen Massnahmen in Wohnquartieren umzusetzen zu sein, wo sich alle Kinder kennen. Dort hatten sich in den ersten Tagen nach den Schulschliessungen frische Allianzen und neue Spielformen gebildet, Teenager schwangen Springseile für Kindergärtner, die Höhe des Basketball-Korbs wurde verringert. Doch die Eltern begannen sich zu fragen: Darf ich meine Kinder überhaupt noch draussen mit anderen spielen lassen? Denn während Mütter und Väter dies mit gebührendem Abstand zueinander diskutierten, umschlangen sich die Kinder verschiedener Familien bei Friedenskämpfen, nahmen einander beim «Räuber & Poli» gefangen, versammelten sich zu acht auf der obersten Plattform des Klettergerüsts. Spätestens als der Bundesrat Versammlungen von mehr als fünf Personen verbot, war klar: So darf das nicht weitergehen.
Zwar wird die Covid-19-Epidemie – im Gegensatz zu anderen ansteckenden Krankheiten wie der Grippe – stärker von Erwachsenen als von Kindern verbreitet. Anders als in Deutschland verzichtete die Regierung in der Schweiz denn bislang auch darauf, Spielplätze zu schliessen. «Die Kinder sollen ein einigermassen normales Leben weiterführen können», sagte Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) vergangene Woche zu den Medien. Und doch muss damit gerechnet werden, dass ein Kind das Virus weitergeben könnte. Auf der Website des Bundesamt heisst es dazu: «Es ist wichtig, dass sich jetzt keine grösseren Gruppen von Kindern in Parks oder anderen Orten treffen. Treffen von kleinen Gruppen mit fünf Kindern sind möglich.»
Eltern berichten, dass sie ihre Kinder ein oder zwei beste Gspänli auswählen liessen, mit denen sie nun nur noch spielen dürfen. Andere beschränken die Kontakte auf die unmittelbare Nachbarschaft und vermeiden die Vermischung mit Kindern aus anderen Quartieren.
Schwierig umzusetzen ist zuweilen die Regel mit der Gruppengrösse. Wer im Home Office arbeitet, kann nicht ständig den Nachwuchs überwachen und ist vielleicht ganz froh, wenn die Kinder mal eine Weile selbständig draussen spielen und sich in Ruhe ein heikles Telefonat führen lässt. Niemand kontrolliert in dieser Zeit, ob sich die Kinder an die Fünf-Personen-Regel halten – von Abstand halten ganz zu schweigen.
Am anspruchsvollsten ist die Zeit zwischen späterem Nachmittag und Abendessen, wenn auch die grösseren Kinder und Jugendlichen ihre täglichen schulischen Pflichten hinter sich haben. Einige Eltern gehen dem Problem der Gruppenbildung aus dem Weg, indem sie den ganzen Nachmittag spazieren gehen oder die Bildschirmzeit – die sie für die Dauer der Krise ohnehin erhöht haben – auf die Zeit vor dem Abendessen legen.
Bei Teenagern hingegen ist elterliche Kontrolle kaum mehr möglich. So sind an beliebten Plätzen noch immer Gruppen von Jugendlichen zu sehen, die näher beieinander stehen, als es die Behörden empfehlen.
Am dringendsten ist allerdings laut dem Bund, dass sich die Kinder und Jugendlichen nicht mit den Risikogruppen durchmischen. Von Grosselternbesuchen wird dringend abgeraten. Doch auch hier sind kreative Lösungen anzutreffen: Beliebt ist der Schwatz aus dem Fenster oder über die Balkonbrüstung. Diese Kommunikationsform kann auch das Leben derjenigen Kinder erleichtern, die wegen Husten oder anderen Symptomen derzeit das Haus nicht verlassen dürfen.