Was war nicht alles über die Täterschaft spekuliert worden. Mehrere müssen es gewesen sein, und sicher keine Ersttäter – das sagten Experten, darunter Gerichtspsychiater Frank Urbaniok. Und jetzt? Es war nicht die Mafia, es waren keine ausländischen Kriminaltouristen, es war nicht einmal ein verunglückter Drogendeal. Verantwortlich für die grausame Tat ist Thomas N., ein 33 Jahre alter Schweizer Student aus dem Dorf. Ein «unbeschriebenes Blatt», wie die leitende Staatsanwältin sagte.
Wie nach dem traurigen 21. Dezember 2015 ist Rupperswil geschockt und fragt sich: Einer von uns? Wie kann das sein? Hätten wir etwas merken müssen? Thomas Knecht, Leitender Arzt Forensische Psychiatrie, winkt ab: «So eine Veranlagung zeigt sich nicht an der Oberfläche. Der Täter wird vermutlich eine charmante Fassade haben – ein Deckmänteli für das, was darunter liegt.»
Unter dem Radar der Behörden
Die Experten erleben das oft: Erst bei der psychiatrischen Begutachtung eines gefassten Täters, bei Gesprächen mit Eltern, Freunden, Arbeitskollegen kommt heraus: Anzeichen für pathologisches, sadistisches Verhalten gab es sehr wohl. Sie wurden bloss nicht erkannt oder schlicht ignoriert.
Vielleicht hat der Täter als Kind Tiere gequält. Mitschüler gemobbt. Freunde gegeneinander ausgespielt. Alles verwerflich, aber nicht unbedingt strafrechtlich relevant. «Bei Kindern und Jugendlichen ist die Schwelle, Delikte zu erfassen, relativ hoch», sagt Thomas Knecht. «So kann jemand lange unter dem Radar der Strafverfolgungsbehörden agieren.» Klar sei: Dem Täter ging es immer um Machtdemonstration und Kontrolle.
Unklar ist hingegen, was genau der Auslöser war für den Vierfachmord. Was den Täter bewogen hatte, aus dem Dunkel zu treten, seine Machtspiele – und offenbar seine pädophilen Neigungen – in einen grauenhaften Vierfachmord münden zu lassen.
Für Thomas Knecht steht jedoch fest, dass der Täter die Tat minuziös geplant hat. Im Kopf durchgespielt. So lange, bis er glaubte, alle Eventualitäten berücksichtigt zu haben.
Davonkommen zu können. «Dann hat er es generalstabsmässig durchgezogen», so Knecht. Das zeuge von einem riesigen Selbstbewusstsein, bis hin zur Selbstüberschätzung – immerhin hatte sich der Mann alleine vier Personen vorgenommen.
«Dass jemand eiskalt eine solche Tat begeht und nebenbei seinen Sexualtrieb befriedigt, zeigt, dass der Täter skrupellos und psychovegetativ stabil war.» Knecht erklärt: «Normalerweise ist der Mensch unter Stress nicht mehr zu sexuellen Empfindungen fähig. Dieser Täter war offenbar genug gelassen, um seinen Sexualtrieb aufrechtzuerhalten.»
Auch die brutale Art, wie die Opfer umgebracht worden sind, sagt etwas über den Täter aus. «Das Töten mit einem Messer ist eine sehr intime Art, jemanden umzubringen. Man sucht aktiv die Nähe des Opfers. Ein Täter, der sein Opfer widerwillig umbringt, würde eher auf Halbdistanz gehen und eine Schusswaffe benutzen.»
Knecht will nicht so weit gehen, zu sagen, der Täter hätte sogar Spass am Töten gehabt. Aber: «Ich gehe davon aus, dass er den Nützlichkeitsaspekt mit einer finalen Machtdemonstration verbunden hat.» Wahrscheinlich habe der Täter später die Berichterstattung über die Polizeiarbeit verfolgt – und sich über seinen Triumph über die Staatsmacht gefreut, als zunächst die Ermittlungserfolge ausblieben.
Dieses Haus in Rupperswil ist seit Donnerstag polizeilich versiegelt.
© Mario Heller
Fünf Monate nach dem Vierfachmord von Rupperswil wird Thomas N. verhaftet.
© Zur Verfügung gestellt
Nächste Opfer in Rupperswil?
Warum hat der Täter in seinem eigenen Dorf zugeschlagen – quasi vor der Haustüre? «Das ist Teil der Risikokalkulation», sagt Thomas Knecht. «In seiner Umgebung kennt er sich zwar gut aus und kann Störfaktoren einschätzen. Allerdings hätte ihn zu grosse soziale Nähe zu den Opfern rasch in den Kreis der Verdächtigen gebracht. So gesehen hat der Rupperswiler Täter einen intelligenten Kompromiss gemacht: räumliche Nähe, aber keine offensichtliche Verbindung zu den Opfern.»
Der Täter stand offenbar kurz bevor, wieder zuzuschlagen. Knecht hält es für wahrscheinlich, dass er dies wieder im Raum Rupperswil getan hätte. «Erfolgsrezepte werden oft plus/minus wiederholt. Da seit der Tat fünf Monate vergangen waren und es so aussah, als hätte die Polizei keine Spur, glaubte der Täter, er komme davon.»
Nach seiner Verhaftung hat der Täter umgehend ein Geständnis abgelegt. Aus Stolz oder aus Erleichterung? «Er hat wahrscheinlich kapituliert, weil er gemerkt hat, dass seine ganze Methodik doch nicht perfekt war», sagt Knecht. «Möglicherweise war er sogar beeindruckt darüber, dass man ihn geschnappt hat.»
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Grafik: Elia Diehl
CartoDB: Vierfachmord von Rupperswil