In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unsere Autorin Samantha Zaugg alternierend mit Ludwig Hasler, Philosoph und Publizist, 76. Diese Woche will Zaugg die wirklich interessanten Geschichten hören.
Lieber Ludwig
Was Sexualität angeht, sind wir wirklich nicht einer Meinung. Du schreibst, Sex als gut und gesund zu bezeichnen, sei okay, aber halt lahm. Braucht es mehr Exzess und Verruchtheit. Da haben wir uns nicht recht verstanden. Schliesst sich nämlich alles nicht aus. Eher im Gegenteil. Ich stelle also fest, ich muss mich klarer ausdrücken. Und damit will ich gleich anfangen. Ich muss mit einer deiner Referenzen aufräumen. Mit Michel Houellebecq. Mit dem will ich in der Diskussion um Sexualität nichts zu tun haben. Denn er ist nichts als eine alte Skandalnudel!
Er tummelt sich mit den Themen seiner Romane an irgendwelchen Rändern rum – Frauenhass, Islamisierung, Sexismus –, ohne sich je klar zu positionieren – und verkauft es dann als Kunstfreiheit. Provokation um der Provokation willen. Ziemlich einfach, auch ziemlich erwartbar. Ich wage mal die Prognose: Als nächstes macht er etwas über Rassismus, Neonazis oder so. Houellebecq ist wie die billige Version von Schlingensief. Quasi Schlingensief bei Wish bestellt.
So, genug zu Provokation und vor allem genug zu Houellebecq. Jetzt zu deinen anderen Aussagen. Du hast da etwas geschrieben, da bin ich hellhörig geworden. Du schreibst vom ekstatischen Absturz ins Unterbewusstsein, von Entgrenzung und metaphysischer Erfahrung. Da hast du mein Interesse. Wobei ich mich frage, ob du da nicht ein bisschen dick aufgetragen hast. Klar, Sex ist gut. Aber eine metaphysische Entgrenzungserfahrung? Ich weiss nicht recht. Vielleicht unterschlägst du da auch was. Ekstatischer Absturz, das klingt mir nach etwas anderem. Ich denke da eher an wilden Drogenrausch.
Generation Woodstock würde bei dir vom Alter her schon passen. Gab’s so was auch in der Schweiz? Oder eine LSD-Bewegung, wie in den USA? Meinst du so was? Interessant fände ich das allemal. Aber ich muss sagen, das will nicht so recht ins Bild passen, das ich habe von der Schweiz der Sechziger- und Siebzigerjahre.
Ihr Alten erzählt sonst von früher nicht besonders interessante Sachen. Ihr sagt immer nur, wie viel ein Pfund Schweineschmalz damals gekostet hat. Oder dass der «Teleboy» eine super Sendung war. Dass man den Ochsnerkübel mit Zeitung ausgelegt hat, sich im Auto nicht anschnallen musste und die Post PTT geheissen hat. So was halt. Nicht besonders spannend.
Aber wer weiss, vielleicht seid ihr auch einfach Schlitzohren und verheimlicht die wirklich interessanten Geschichten? Für einmal lasse ich mich gern belehren. Also erzähl mal, wo gab’s denn bitte in der Schweiz von früher sexuelle Befreiung? Oder hab ich das falsch verstanden mit Exzess und Ekstase? Meintest du alles doch nur im übertragenen Sinn?
Samantha