Tagebuch aus der Antarktis (5)
Im Sturm: 60 Weingläser fallen perfekt synchron

«Laufe nie an einem Montag aus», so eine russische Seemannsweisheit. Wahrscheinlich war unser Auslaufen zu nah am Montag.

Julia Schmale
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Im Hafen vor Hobart.

Im Hafen vor Hobart.

Zur Verfügung gestellt

«Die erste Etappe der Antarktischen Umrundungsexpedition haben wir hinter uns gebracht: Wir sind mit unserem russischen Forschungsschiff von Südafrika nach Australien gefahren. Dort verbringen wir nun drei arbeitsintensive Tage im Hafen von Hobart. Unser kleines Team von Atmosphärenwissenschaftern hat zusätzliche Messinstrumente bekommen und wir nutzen die Hafentage, um sie in unserem Forschungscontainer zu installieren. Auch für Freizeit ist gesorgt: Die Schweizer Botschaft in Australien hat eine Grillparty und einen Empfang für uns organisiert. Eine sehr willkommene Abwechslung nach vier Wochen auf See.

Dann ist es Zeit, aufzubrechen. In der Nacht von Sonntag auf Montag legen wir kurz vor Mitternacht ab. Einer russischen Tradition zufolge darf man einen Hafen nicht an einem Montag verlassen, denn das soll Unglück bringen. Doch womöglich liegt unsere Abfahrtszeit doch schon zu nah dran am Montag – denn nach nur 24 Stunden auf See bricht ein so heftiger Sturm über uns herein, dass wir durchaus geneigt sind, an ein Unglück zu glauben.

Blauwal in der Antarktis
7 Bilder
Flug über die Balleny Islands.
Seesterne aus einer Tiefe von 930 Metern.
Blick in den Kontrollraum.
Die Forscher nehmen Proben vom Mertz-Gletscher
Der Helikopter dient als Taxi zwischen dem Schiff und den Forschungspositionen.
Julia Schmale Julia Schmale ist Atmosphärenwissenschafterin am Paul-Scherrer-Institut in Villigen, Aargau – wenn sie nicht gerade auf Forschungsreise ist.

Blauwal in der Antarktis

Tim Collins

Die fünfzigsten Breitengrade sind berüchtigt für Stürme. «Furious Fifties» – die Rasenden Fünfziger – werden sie unter Seefahrern genannt. Der Sturm, den wir nun hier erleben, löst das Versprechen dieses Namens ein. Meine zwei Teamkollegen und ich schaffen es gerade noch, in unserem Forschungscontainer alles sturmfest zu machen. Auf dem Rückweg ins Schiff gelingt es uns auch mit vereinten Kräfte nicht, die Schiffstür zu schliessen – ein russischer Matrose muss uns helfen. Auch alle anderen Zugänge zu den Decks werden nun geschlossen; niemand kann sich jetzt noch draussen aufhalten. Das Schiff schaukelt inzwischen so heftig, dass wir uns wie schwerbetrunken durch die Korridore bewegen. Nur von der Kommandobrücke aus kann man sehen, was draussen vor sich geht. Der Eisbrecher kämpft sich durch Wellen, die bis zu 15 Meter hoch sind und oft das gesamte Vorderdeck überspülen.

Trotz Sturm wollen wir die Feste feiern, wie sie fallen: Ein Expeditionsmitglied hat Geburtstag und die Küchencrew hat ein edles Abendessen vorbereitet. Gerade als wir den Essensraum betreten, trifft eine grosse Welle das Schiff. Während wir nach Halt fassen, sehen wir die 60 Weingläser so perfekt synchron zu Boden fallen, wie sich die Beine von Synchronschwimmerinnen in die Höhe strecken. Immerhin: Auch der traditionelle Glaube, dass Scherben Glück bringen, darf auf unserem russischen Schiff gelten.

Um nicht komplett ins Zentrum des Sturms zu geraten, ändern wir unseren Kurs. Der geplante Stopp auf der Insel Macquarie muss dadurch ausfallen, stattdessen steuern wir nun direkt den Mertz-Gletscher auf dem antarktischen Kontinent an. Der Kurswechsel wirkt: So schnell wie der Sturm kam, so rasch verschwindet er wieder. Nach zwölf Stunden ist der Spuk vorbei und der Ozean präsentiert sich wieder von seiner sanften Seite. Unsere Geräte im Messcontainer haben sich unerschütterlich gezeigt und die gesamte Zeit über Daten gesammelt. Wir sind beruhigt, dass damit der Härtetest bestanden ist – dies war kaum das letzte Unwetter auf unserer Expedition.

Die Antarktis-Route vom Forschungsteam mit Julia Schmale.

Die Antarktis-Route vom Forschungsteam mit Julia Schmale.

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