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Osteopathen verlassen sich auf das, was sie mit ihren Händen ertasten und bewirken können. Damit finden sie auch die Folgen vermeintlich verheilter Verletzungen.
Um zu verstehen, worauf es bei der Osteopathie ankommt, darf man sich nicht ausschliesslich an der Bezeichnung orientieren. Denn es geht um mehr als um Knochen (griech. Osteon) und Krankheit (griech. Pathos). Die Ende des 19. Jahrhunderts vom amerikanischen Landarzt Andrew Taylor Still entwickelte manuelle Untersuchungs- und Behandlungsmethode begreift den Körper als Einheit und nicht als Summe unabhängig funktionierender Einzelteile. Er war davon überzeugt, dass alle Muskeln, Gelenke, Organe, Blutgefässe, Lymphbahnen und Nerven sowie das Bindegewebe bis zu einem gewissen Grad beweglich sind und sich damit pausenlos gegenseitig beeinflussen. Mangelt es an Beweglichkeit und damit am reibungslosen Zusammenspiel der einzelnen Strukturen, fühlt sich der Mensch beeinträchtigt oder er wird sogar krank.
Schulterbeschwerden wegen eines Sturzes aufs Knie vor einem Jahr, Kopfschmerzen, die von einer Hüftprellung kommen – dort, wo es wehtut, muss nicht unbedingt auch die Ursache der Beschwerden liegen. Verantwortlich für dieses Phänomen ist die erstaunliche Anpassungsfähigkeit des menschlichen Körpers: Weil alles zusammenhängt und ineinandergreift, kann der Organismus Fehlfunktionen relativ lange kompensieren. Wo eine Struktur nachlässt oder Defizite hat, übernimmt eine andere ihre Aufgaben. Ein grossartiges System, das sich aber nicht beliebig ausreizen lässt. Irgendwann machen sich beeinträchtige Funktionen doch bemerkbar. Leider häufig unangenehm. Doch egal, ob vorhandene Hemmnisse im Körper kompensiert sind oder Beschwerden bereiten: Die Osteopathie kann helfen, gesund zu werden und zu bleiben.
David Bonjour, Osteopath in Siders VS und Studienberater für Osteopathie an der Hochschule für Gesundheit in Freiburg, sagt: «Indem wir uns darum kümmern, dass im Organismus alles normal fliesst und funktioniert, stimulieren wir die Selbstheilungskräfte des Körpers.»
Die Untersuchungs- und Behandlungsinstrumente des Osteopathen sind seine Hände. Geschult in einer mehrjährigen Ausbildung und dank der mit jedem Patienten wachsenden Erfahrung spüren sie tief in den Körper hinein und ertasten dort Spannungen, Blockaden und Funktionsstörungen, die sie dann – sozusagen im selben Arbeitsschritt – mit gezielten Handgriffen lösen, beseitigen bzw. mobilisieren. Dabei kommen Osteopathen oft auch lange zurückliegenden, scheinbar verheilten Verletzungen und ihren heutigen Folgen auf die Spur. Dem schweren Skiunfall als Teenager zum Beispiel. Oder der Blinddarm-Not-OP in Kindertagen.
Die Arbeit der Osteopathen konzentriert sich aber nicht nur auf körperliche Beschwerden. Auf Rückenschmerzen, Gelenkprobleme und Verdauungsstörungen. Eine weitere Aufgabe besteht laut Bonjour darin, auch bei belastenden Zusammenhängen zwischen Körper und Seele zu helfen: «Viele Menschen, die osteopathische Hilfe suchen, leiden unter psychosomatischen Beschwerden. Die Fähigkeit, einfühlsam mit ihnen zu sprechen, ihnen zuzuhören, und ihr Vertrauen zu gewinnen, ist ein sehr wichtiger Bestandteil unserer Arbeit.»
An ihre Grenzen stösst die Osteopathie bei Notfällen und akuten, lebensbedrohlichen Erkrankungen. Und auch dort, wo Strukturen nicht eingeschränkt, sondern zerstört sind, ist sie nicht die Methode der Wahl. David Bonjour: «Gegen eine schwere Arthrose, zum Beispiel, können wir nichts tun, denn die Gelenkveränderung lässt sich ja nicht rückgängig machen. Trotzdem können wir helfen, indem wir die Beweglichkeit des betroffenen Gelenks verbessern.»
Wer in der Schweiz osteopathisch arbeiten will, muss das interkantonale Diplom in Osteopathie erwerben. Zu dieser Prüfung wird nur zugelassen, wer eine fünfjährige Vollzeit-Ausbildung in Osteopathie sowie eine anschliessende zweijährige Praxisphase durchlaufen hat. Wo man diese Ausbildung absolviert, spielte bislang keine Rolle. Das ändert sich in absehbarer Zukunft: Ab 2023 bekommen eine Neuzulassung nur noch Osteopathinnen und Osteopathen, die das Fach studiert und mit dem Master abgeschlossen haben. Einen entsprechenden deutsch-französischen Fachhochschul-Studiengang gibt es in der Schweiz derzeit nur an der Hochschule für Gesundheit in Freiburg, wo im kommenden Jahr der erste Jahrgang sein Masterstudium beendet.
In der Westschweiz genügt es meist, im Bekanntenkreis herumzufragen, denn 60 Prozent der schweizerischen Osteopathinnen und Osteopathen arbeiten in diesem Landesteil. Für die Osteopathensuche in der Ostschweiz empfiehlt sich die Homepage des Schweizerischen Osteopathen Verbands (http://osteopathes-suisses.ch/public/de/pages/104).