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Leben
Nicht nur bei Lebensmitteln, auch bei Blumen heisst das Motto der Stunde: saisonal und regional. Doch so einfach findet man «Slow Flowers» noch nicht – ausser im eigenen Garten oder in der Natur.
Endlich strecken meine Wildtulpen ihre Köpfchen hervor, die Taglilien biegen sich elegant im Wind, und ganz hinten im Garten erfreuen die Lenzrosen das Auge. Was für eine Pracht! Lange musste ich warten, bis ich aus dem Vollen schöpfen und meine Blumensträusse wieder direkt ab Garten zusammenstellen kann.
Ich gebe es zu: Im Januar konnte ich der Lust nach Farben und Blüten beim Grossverteiler nicht widerstehen und habe mir dann und wann einen Bund Tulpen gekauft. Aber irgendwie fühlte sich das fast an wie Verrat am Zyklus der Natur. Schliesslich weiss ich ja, dass mitten im Winter hierzulande keine Tulpen wachsen. Der Blick aufs Etikett bestätigt es: die Tulpen stammen aus den Niederlanden, Ranunkeln und Mimosa aus Italien und die Rosen aus Ostafrika.
Eigentlich sehnte ich mich ja eher nach einem wilden Wald- oder einem Wiesenstrauss. Einfach das, was die Natur gerade bereithält. Das war bis vor wenigen Wochen noch nicht viel. Schaut man jetzt jedoch genau hin, entdeckt man einiges. Manche mögen Hahnenfuss und Wiesenschaumkraut für Unkräuter halten. Wenn man sie aber mit Gräsern oder Ästchen ergänzt, hat man im Nu einen wunderbaren Strauss. Auch von der Kornelkirsche im Garten schnitt ich ein paar Zweiglein mit den hübschen gelben Blüten ab, um mir einen Frühlingsgruss in die Wohnung zu holen.
Manchmal reicht es gar, ein paar Zweige verschiedener Bäume zusammenzustellen. Allein die unterschiedlichen Grüntöne und die Struktur der Blätter sorgen für einen tollen Anblick. Inspiration hole ich mir dabei hin und wieder aus dem Buch «Die schönsten Wald- und Wiesensträusse» (Verlag LandLiebe). Es zeigt, wie man aus der Fülle an Blumen, Gräsern und natürlichem Dekomaterial zauberhafte Arrangements zusammenstellen kann.
Ich bin mit der Sehnsucht nach dem Strauss voller Natur längst nicht allein. Diese Sehnsucht hat auch einen Namen: Slow Flowers. Wie bei Slow Food geht es um Stichworte wie regional, saisonal, biologisch. Also möglichst im Rhythmus der Jahreszeiten oder eben, was die Natur gerade bietet. Das soll nun kein Freipass sein, beim Nachbarn oder im Wald zu freveln. Es gibt nämlich, abgesehen von den Blumenfeldern, mittlerweile eine ganze Handvoll Floristen in der Schweiz, die sich der Slow-Flowers-Philosophie verschrieben haben.
Die blumige Community hat ihren Ursprung in Amerika, inspiriert durch Amy Stewart, die im Buch «Flower confidential» hinter das Geschäft der Blumenindustrie blickte und über schlechte Arbeitsbedingungen, Pestizidbelastung und dem grossen CO2-Fussabdruck der Blumen schrieb.
Judica Altmann ist diesbezüglich eine Pionierin in der Schweiz. In ihrer Berner Blumenboutique Flair bietet sie seit Jahren saisonale und regionale Bioblumen aus eigener Produktion an.
Sie freut sich, dass die Kunden vermehrt darauf achten, was für Blumen sie kaufen. Schliesslich sind nur rund 10 Prozent der hierzulande angebotenen Schnittblumen aus der Schweiz. Es sei eine Herausforderung, rund ums Jahr eine gute Auswahl zu haben, so Altmann. Aber auch im Winter wachse viel mehr, als man denke. Dann verarbeitet sie für ihre Sträusse zum Beispiel Äste, die sie vortreibt, oder immergrüne Gehölze, die sie mit Trockenblumen oder konservierten Rosen kombiniert. «Jede Jahreszeit bietet spannende Blumen und Pflanzen», ist sie überzeugt. Heute würden die Kunden zum Glück nicht mehr rund ums Jahr Rosen erwarten.
Das spürt auch Samantha Bühler aus Winterthur in ihrem Blumengeschäft Grünraum. «Es braucht noch etwas Aufklärungsarbeit», stellt sie fest. Das Wissen, wann welche Blumen Saison haben, sei häufig nicht mehr vorhanden. «Umso mehr freuen die Kunden sich dann, wenn ihre Sträusse Ustermer Bio-Tulpen oder Äste aus dem Tessin enthalten.» Weil der Anbau von Schnittblumen in der Schweiz verhältnismässig teuer ist, zieht Bühler nun vermehrt auch Blumen im eigenen Garten an.
Gewiss, Slow Flowers gehören in der Schweiz noch zu den Nischenprodukten. Dennoch ist Felicia Mäder überzeugt, dass das Prinzip Zukunft hat. «Ich nehme wahr, dass der Trend mehr Richtung Natürlichkeit geht, dass die Sträusse nicht mehr so arrangiert sein müssen, sondern schlicht sind und auch etwas zufällig», sagt die Floristin, die in Basel das Geschäft Blütezeit betreibt:
«Wenn ich einen Strauss mache, steht die Kunst dahinter, jede einzelne Blüte zur Geltung zu bringen.»
Am liebsten arbeitet Mäder mit Wiesen- und Gartenblumen wie Margeriten, Kosmeen, Mohn oder Wiesensalbei.
Auch bei mir wachsen sie im Garten und werden bald mein Zuhause schmücken. Bis dahin erfreue ich mich an hiesigen Tulpen, Lenzrosen und Schmucklilien, die jetzt wunderbar blühen. Hält man die Augen offen, ist es gar nicht so schwierig, einen Slow-Flower-Strauss zusammenzustellen.
– Blütezeit, Basel, www.bluete-basel.ch
– Flair Blumen- und Hofboutique, Bern, www.blumenflair.ch
– Grünraum, Winterthur, www.gruenraum.ch
– Blumenpost, Zürich, www.blumenpost.com
– Blumerei Kalkbreite, Zürich, www.blumerei-kalkbreite.ch
– Fleuraissance, Zürich, www.fleuraissance.ch