Tee erlebt gerade einen Boom und wird auch als Wein-Alternative zum Essen, in Cocktails oder als Sparkling Tea serviert.
Er funkelt dunkler als ein Vinsanto, aber heller als ein Rotwein im Glas. «Dieser Rougui Yancha ist eine Wucht», schwärmt Amanda Wassmer-Bulgin, Sommelière im «Memories» und Wine Director im Grand Hotel Quellenhof in Bad Ragaz. «Fruchtig, mit einer leichten Zimtrinden-Note, und erst seine Mineralität!» Als unglaublich komplex bezeichnet die Fachfrau den Felsentee, als würde es sich um einen Grand Cru aus dem Bordelais handeln. Im aktuellen Menü begleitet er gegrillten Chicorée an einer fermentierten Sauerteigsauce und Bündnerfleisch. «Eine perfekte Paarung», findet die gebürtige Engländerin.
Mit Begeisterung erzählt sie von den Eigenschaften des traditionellen Oolong aus Wuyishan, von dessen Lage (zwischen 200 und 730 Meter über Meer, auf saurem Boden), seiner Ernte (natürlich alles von Hand gepflückt) und seiner Trocknung (über Holzkohle). Ihre Lieferantin Meng-Lin Chou vom Teegeschäft Shui Tang in Zürich führt eine solche Rarität nicht mal auf der Website auf. Schliesslich liefern die Teepflanzen erst ab einem Alter von 10 Jahren eine gute Ernte ab.
Wenn Amanda Wassmer-Bulgin mit ihrem Mann und Chefkoch Sven Wasmer das Menü neu zusammenstellt, gehe es immer darum, die beste Kombination von Gericht und Getränkebegleitung zu finden – egal ob Wein, Saft oder eben Tee. Was für sie für Tee spricht:
«Die Zunge und der Gaumen werden müde, wenn sie nur Wein als Essensbegleitung erhalten.»
Man müsse aber offen sein für die filigranen Tee-Aromen, meint die Engländerin, die privat am liebsten einen kräftigen indischen Schwarztee, mit einem kleinen Löffel Zucker und wenig kalter Milch, geniesst. «Für viele hat Tee zu wenig Power. Deshalb muss man, wie bei einem Top-Bordeaux, seine Komplexität zuerst entdecken.» Bei der Auswahl der hochwertigen Single-origin-Tees geht sie dabei wie beim Wein vor und achtet auf die primären, sekundären und tertiären Aromen, will heissen: den Aromen der Pflanze, denjenigen, die bei der Trocknung oder Röstung sowie bei der Reifung entstehen.
Hanni Rützler, die österreichische Expertin für Foodtrends, nennt es «Liquid Evolution», was sich gerade im Getränkesektor abspielt. Durch die Krise habe das Thema Gesundheit einen Schub erhalten und präge unsere Ess- und Trinkkultur mehr denn je. So ist für sie nur verständlich, dass Tee ähnlich wie Wein und Bier eine qualitative Ausdifferenzierung erfahre. Tee-Liebhaber wissen das natürlich längst, unterschieden sie doch schon immer nach Sorte, Herkunft, Zubereitung, Aromatisierung.
Seit Wein seine dominante Rolle als Speisenbegleiter in der europäischen Esskultur mehr und mehr zu Gunsten alkoholfreier Alternativen einbüsse, würden charakteristische Geschmackskomponenten – von blumig-mild bis würzig-pikant oder sogar scharf – auch beim Tee an Bedeutung gewinnen, schreibt sie in ihrem Foodreport 2021.
Tee scheint gerade das Getränk der Stunde zu sein, ja so etwas wie ein Lockdowngewinner. Verständlich, gilt doch das warme Getränk auch als Seelentröster. Sogar in England, wo seit Jahrzehnten der Niedergang der Teekultur bedauert wird, konnte er im vergangenen Jahr um bis zu 10 Prozent zulegen. Auch hierzulande beobachtet man eine wachsende Nachfrage.
Nur so lässt sich erklären, dass selbst der Bubble Tea ein Revival feiert.
Es muss in der Tat nicht immer die herkömmliche Tasse Tee sein. Das beweist Dirk Hany von der «Bar am Wasser» am Zürcher Bürkliplatz, auf dessen Karte stets ein paar Tee-Cocktails stehen. Derzeit zum Beispiel den Jalisco Punch, der Tequila, Agave, Limetten, Ananas und einen 24 Stunden lang kalt gezogenen Sommerfrüchtetee beinhaltet. Auch der Cream Tea Time besteht neben Gin, Erdbeere und Cream Soda aus einer Infusion von Rosentee. «Mit Tee kann man cool spielen, dank dem Tein lassen sich gewisse Bindestoffe hervorheben», schwärmt der gebürtige Südafrikaner. Ein grosses Thema seien Tee-Cocktails, die es bei ihm auch in alkoholfreien Varianten gibt, jedoch nicht.
Vielleicht wird sich das bald ändern. Denn spannende Tee-Innovationen tauchen derzeit einige auf. Zum Beispiel der Sparkling Tea von Sommelier Jacob Kocemba und seinem Partner Bo Sten Hansen aus Dänemark (www.sparkelingtea.co). Sie verbinden darin nordische Innovation und asiatische Teetradition. Von lieblichen weissen Tees bis zu vollmundigen Schwarztees stellen sie aus einer Auswahl hochwertiger Biotees komplexe Tee-Cuvées her, die mit Fruchtsäften oder Wein verfeinert werden. Anschliessend versetzen sie die leicht oder nichtalkoholischen Tee-Cuvées mit Kohlensäure und füllen sie ab. Wer dieses besondere Geschmackserlebnis hierzulande geniessen will, muss ins Hotel Beau-Rivage Palace nach Lausanne reisen.
Ganz ohne Alkohol kommen die Seicha-Matcha-Produkte der Brüder Benjamin und Felix Bönig aus Deutschland (www.seicha.de) aus.
Sie mischen ihre herben Muntermacher aus Matcha- Tee mit Saft von Grapefruit, Limette und Ingwer. Durch eine spezielle Cold-Brew-Technik werden die Limonaden nicht erhitzt, sondern kalt abgefüllt, wodurch die Wirkstoffe des Matcha-Tees erhalten bleiben. Die koffeinhaltige Mischung soll die natürliche Wirkung von 13 Tassen Grüntee haben.
Das wäre für Amanda Wassmer-Bulgin entschieden zu viel an Koffein. Deshalb würde sie trotz aller Liebe zum Tee nie eine reine Tee-Begleitung anbieten. «Wenn man aber offen ist, findet man viele Möglichkeiten, das Getränk einzusetzen. Ein kräftiger, malziger Oolong zu einem Rindssteak oder ein Sencha-Tee zu den aktuellen Spargeln – einfach himmlisch.»