Leben
Doch weniger Viren im Rachen der Kinder: Schweizer Statistiker kritisiert den Virologen Christian Drosten

Unter 10-jährige Kinder sind doch nicht so grosse Virenschleudern wie Erwachsene - das ist die korrigierte Bilanz des Schweizer Bio-Statistikers Leonhard Held. Damit gerät der deutsche Virologe Christian Drosten noch mehr in Kritik.

Sabine Kuster
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Gesundheit! Kinder haben vermutlich nicht nur eine geringere Virenlast bei Covid-19 - ebenso wichtig ist, dass sie die Coronaviren seltener durch husten oder niesen verbreiten.

Gesundheit! Kinder haben vermutlich nicht nur eine geringere Virenlast bei Covid-19 - ebenso wichtig ist, dass sie die Coronaviren seltener durch husten oder niesen verbreiten.

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Es ist wie ein Krimi, der in Echtzeit verfolgt werden kann: der Streit um die Frage, wie ansteckend Kinder sind, die an Covid-19 erkrankt sind. Die Studie des deutschen Star-Virologen Christian Drosten sorgte letzte Woche für Aufsehen in Europa, da Drosten zum Schluss kam, im Rachen von erkrankten Kindern würden sich gleich viele Coronaviren tummeln wie bei Erwachsenen. Drosten zog daraus den Schluss, eine sofortige komplette Öffnung der deutschen Schulen sei nicht zu verantworten.

Schon unmittelbar nach der Veröffentlichung wurde kritisiert, dass die Virenlast nicht alleine die Ansteckungs-Wahrscheinlichkeit ausmacht (sondern auch wie stark jemand Symptome hat und hustet). Nun aber gerät die Studie an sich in Kritik: Bio-Statistiker Leonhard Held von der Universität Zürich hat Drostens Studie durchleuchtet. Dies im Auftrag von Matthias Egger, Leiter der Covid-19-Task-Force des Bundes.

Christian Drosten leitet das virologische Institut an der Charité Berlin Mitte.

Christian Drosten leitet das virologische Institut an der Charité Berlin Mitte.

dpa

Je jünger die Kinder, desto weniger Viren?

Leonhard Held kommt in seinem Kommentar zum Schluss, dass es durchaus Hinweise gebe für eine zunehmende Virenlast mit zunehmendem Alter. Oder umgekehrt ausgedrückt: Je jünger die Kinder sind, desto weniger Viren sind in ihren Nasen.

Auf Nachfrage verdeutlicht er die Kritik: "Die Autoren von Drostens Studie haben recht einfache statistische Methoden angewandt, um es mal so zu sagen. Das kann man kritisieren. Und Drostens Schlussfolgerung, dass Kindergärten geschlossen bleiben sollen, ist damit schwierig zu verantworten. Diese Rückschlüsse stehen auf tönernen Füssen."

Bio-Statistiker Leonhard Held, Universität Zürich.

Bio-Statistiker Leonhard Held, Universität Zürich.

Roger Nickl

Er kritisiert auch, dass kein Statistiker an dieser Studie mitgearbeitet habe und vor allem: Die Rohdaten sind in Drostens Pre-Paper nicht veröffentlicht. Laut Held hätten Kollegen aus dem Ausland die Autoren um die Rohdaten gebeten, sie aber bisher nicht erhalten. "Es kann natürlich sein, dass sie einfach sehr beschäftigt sind", sagt Held, "und deshalb kein Feedback geben. Jedenfalls ist es nicht im Sinne der heute üblichen Open-Science-Bewegung, dass man die Daten nicht veröffentlicht."

Held kritisiert an der Methode, dass die Autoren nur in Altersgruppen gearbeitet haben. Sie haben die Virenlast der Personen nicht individuell angeschaut, sondern je nach Altersklasse in einen Topf geworfen. "Wenn man nur die Gruppen analysiert, verliert man Informationen." Mit einer individuellen Analyse hätte man vielleicht sehen können, dass die Virenlast mit dem Alter kontinuierlich zunimmt, so Held. Das sieht auch eine Gruppe von internationalen Kinderärzten so laut ihrer Veröffentlichung.

Nur 49 Fälle von erkrankten Kindern in der Studie

Dies ist wahrscheinlich, weil die Gruppe der 1-10-jährigen Kinder zwar als einzige, aber eben doch einen signifikanten Unterschied aufweist (wenn auch mit nur 49 Fällen vertreten von total 3712). Genau diese Haltung vertritt der Bund: Bis zehn Jahre sind Kinder weniger ansteckend. Daniel Koch sagt sogar: Sie seien ohne Symptome nicht ansteckend.

"Die Studie untersuchte zudem nicht, wie lange die Personen schon krank waren", sagt Held, "dabei ist bekannt, dass sich die Virenlast mit der Dauer der Erkrankung ändert. Das hätte berücksichtigt werden müssen."

Dass Drostens Pre-Studie nun mit einer Reanalyse von Held kommentiert wird, ist nicht ungewöhnlich - doch während der schnell gemachten Studien in der Coronakrise wird dies noch häufiger praktiziert.