Vor 26 Jahren erfand Tim Berners-Lee in Genf das World Wide Web. Am Mittwoch wurde er in Zürich geehrt. Doch seine Erfindung sieht er in Gefahr.
Eigentlich wollte Tim Berners-Lee bloss den Forschern des Cern helfen, Informationen auf einfache Weise auszutauschen. Doch daraus wurde mehr. Weit mehr. Nämlich das World Wide Web, das Netz, das uns alle verbindet. Vor 26 Jahren begann der Brite mit der Programmierung des Hypertext-Projekts, wie er es damals nannte, entwickelte den ersten Webserver und erstellte die erste Website «cern.ch».
Auch wenn wir das Netz einem englischen Informatiker zu verdanken haben, so ist es – die Endung «.ch» der ersten Website deutet es an – auch ein wenig eine Schweizer Erfindung. «Es ist kein Zufall, dass das Web in Genf am Cern entwickelt worden ist», meinte der 70-jährige Tim Berners-Lee im Gespräch mit Journalisten in Zürich. Denn am nuklearen Forschungszentrum kamen in den 1980er-Jahren Wissenschafter aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Computern zusammen, die darum bemüht waren, grosse Datenmengen auszutauschen, während der Rest der Welt noch kaum in Besitz von Rechnern war.
Nicht die Entdeckung des Higgs-Bosons ist die wichtigste Errungenschaft des Cern, sondern die Erfindung des World Wide Webs. Umgangssprachlich wird dieses auch mit dem Internet gleichgesetzt – obwohl dieses noch mehr umfasst, nämlich etwa E-Mails oder das File Transfer Protocol (FTP). Für die Entwicklung des Webs wurde Berners-Lee bereits für den Nobelpreis vorgeschlagen, er wurde von der Queen zum Ritter geschlagen und erhielt diverse Auszeichnungen. Am Mittwoch kam ein weiterer hinzu: der Gottlieb-Duttweiler-Preis.
«Wir ehren die kompromisslose, radikale demokratische Haltung eines Menschen, den wir nur bewundern können», meinte David Bosshard, Leiter des Gottlieb-Duttweiler-Instituts bei der Preisübergabe. Berners-Lee entwickelte nicht nur die technische Grundlage für das Web, sondern setzt sich seither auch für dessen offene und demokratische Struktur ein. Und diese wird derzeit an allen Ecken und Enden bedroht: Geheimdienste spionieren uns aus, Regierungen wie die chinesische zensurieren Informationen, andere Länder wie der Iran möchten sich am liebsten vom Internet abkapseln und ein eigenes Intranet aufbauen, und Provider würden gerne darüber bestimmen, welche Daten wie schnell durchs Netz transportiert werden.
All das passt Berners-Lee gar nicht. Das war so nicht geplant, als er 1989 das World Wide Web aus der Taufe hob. Doch der Brite blickt nicht wehmütig zurück, sieht nicht etwa einen Verrat an seiner Idee. Er schaut nach vorne und sagt: «Wir alle müssen mehr tun für das Web.» Wir sollen Sorge zu unseren Daten tragen, Verschlüsselungstechniken nutzen und uns gegen die Abhörpraktiken aussprechen.
Von einem fortwährenden Kampf spricht Berners-Lee. Das Gute sei, dass von diesem Kampf immer mehr Notiz genommen werde. Seit Edward Snowden seien Netzüberwachung und Netzneutralität vermehrt zu Diskussionsthemen geworden, sowohl in Parlamentsgebäude als auch in Bars und Pubs.
Nein, Pessimismus ist nicht sein Ding. Kann es auch nicht sein. Dieser würde Sir Tim – wie man ihn seit dem Ritterschlag auch nennt – bloss lethargisch machen. Und das wäre nicht gut. Denn es gibt noch viel zu tun. «Noch immer hat mehr als die Hälfte der Menschen keinen Zugang zum Netz. Das müssen wir ändern», sagt der Brite. Erst dann ist das am Cern entwickelte Netz ein wirkliches World Wide Web.